Prickelnde Tropfen für die Festtage: Jetzt entdecken
Roman | "Ein Geniestreich von einem Roman, ein Buch, das bleiben wird." ARD Druckfrisch - Rezensiert in der SZ von Cornelius Pollmer
[{"variant_id":"44664351686923" , "metafield_value":""}]
Daniel Kehlmanns Roman über einen Filmregisseur im Dritten Reich, über Kunst und Macht, Schönheit und Barbarei ist ein Triumph. Lichtspiel zeigt, was Literatur vermag: durch Erfindung die Wahrheit hervortreten zu lassen.
Einer der Größten des Kinos, vielleicht der größte Regisseur seiner Epoche: Zur Machtergreifung dreht G. W. Pabst in Frankreich; vor den Gräueln des neuen Deutschlands flieht er nach Hollywood. Aber unter der blendenden Sonne Kaliforniens sieht der weltberühmte Regisseur mit einem Mal aus wie ein Zwerg. Nicht einmal Greta Garbo, die er unsterblich gemacht hat, kann ihm helfen. Und so findet Pabst sich, fast wie ohne eigenes Zutun, in seiner Heimat Österreich wieder, die nun Ostmark heißt. Die barbarische Natur des Regimes spürt die heimgekehrte Familie mit aller Deutlichkeit. Doch der Propagandaminister in Berlin will das Filmgenie haben, er kennt keinen Widerspruch, und er verspricht viel. Während Pabst noch glaubt, dass er dem Werben widerstehen, dass er sich keiner Diktatur als der der Kunst fügen wird, ist er schon den ersten Schritt in die rettungslose Verstrickung gegangen.
Der Autor von "Die Vermessung der Welt" berichtet aus dem Leben eines der großen Regisseure aus der Weimarer Republik, G.W. Pabst, der nach seinem Tod in Vergessenheit geriet. Für die Fragen, die Kehlmann nun in "Lichtspiel" umtreiben, eignet sich seine Geschichte natürlich hervorragend: Warum kehrt einer, der seiner sozialkritischen Arbeiten wegen auch "der rote Pabst" genannt wurde und schon in die USA entkommen war, 1939 nach Nazi-Deutschland zurück? Oder: Wie bemerkt man den Verlust jeder Moral, wenn die eigene Korrumpierung in Zeitlupe erfolgt? Kehlmann löst in diesem Roman alle Erwartungen ein - der am Ende allerdings doch kaum mehr ist als die Abfolge beeindruckend guter Szenen.
"Lichtspiel", der neue Roman von Daniel Kehlmann, löst alle Erwartungen ein. Und ist doch kaum mehr als die Abfolge beeindruckend guter Szenen.
"Die Frage des richtigen Abstandes, nicht nur in zeitlicher Hinsicht", so Kehlmann in seiner Schillerrede im vergangenen Jahr, beschäftige einen ständig, wenn man über Menschen schreibe, die tatsächlich gelebt haben. Diese interessante Halbdistanz war natürlich lange vor Kehlmann Domäne der Literatur, aus höchst plausiblen Gründen.
Wo historische Vorbilder in signifikantem Ausmaß verbrieft bleiben und zugleich die Fiktion nicht nur in der Introspektion freies Spiel hat, da wird es für den Autor wie seine Leser oft besonders knusprig. In seiner Rede in Marbach fügte Kehlmann an, die dabei entstehende Ungewissheit sei alles andere als trivial, es entstehe "um historische Figuren in erzählender Prosa immer ein Flackern, eine Unsicherheit, eine Grundverwirrung, die wir im Theater oder im Film nicht erleben".
Um den Film als solchen und einen seiner großen Regisseure in der Zeit der Weimarer Republik und danach geht es in "Lichtspiel", Daniel Kehlmanns soeben erschienenem neuen Roman. Er berichtet aus dem Leben von G.W. Pabst, der posthum stärker in Vergessenheit geraten ist als Fritz Lang, Friedrich Wilhelm Murnau oder Ernst Lubitsch - und der vielleicht auch deswegen ins Visier von Kehlmann geraten ist, um in "Lichtspiel" verschiedenen Fragen nachzugehen, darunter folgenden: Wenn einer, der seiner sozialkritischen Arbeiten wegen auch "der rote Pabst" genannt wurde, schon in die USA entkommen war, warum kehrte er 1939 zurück?
Oder: Bis wohin trägt die Kunst als Verpflichtung selbst über Abgründe hinweg, ab wann aber wird sie fatale Ausrede, wenn man - wie Pabst es tat - seine Filme als privilegierter Günstling eines einmaligen Vernichtungsregimes herstellt? In welcher Weise wird man sich des Schwindens bis hin zum Totalverlust der Moral überhaupt bewusst, wenn die Korrumpierung der eigenen Person sozusagen in Zeitlupe erfolgt, im Schrittmaß von Kaffeebohnen?
"Lichtspiel" beginnt mit einer Art vorgeschaltetem Epilog im Nachkrieg. Pabsts früherer Kameraassistent Franz Wilzek ist als seniler Stargast in einer Gesprächssendung im Fernsehen zu Gast, und als ihm dort in der Kulisse ein Mann sagt, sein Vater sei beim Dreh von Pabsts letztem Film dabei gewesen, "bei den Statisten", da fragt Wilzek zurück: "Wo ist die Toilette?" Speiübel ist ihm.
Und wiewohl man als Leser eine allumfassende Dringlich- und Bedrohlichkeit sofort spürt (und weiterhin spüren wird bis zum Ende der knapp 470 Seiten), lässt sich über ihre Ursachen zunächst genauso hinweglesen, wie Pabst im Verlauf am Set eines Films von Leni Riefenstahl innerlich erst dann für ein paar Sekunden vereist, als ihm - viel zu spät - klar wird, dass es sich bei den in Scharen herangekarrten Statisten um KZ-Häftlinge handelt.
Eigentlich stimmt wieder alles bei diesem Roman, doch irgendwas fehlt
Das ist klug gebaut wie überhaupt der Titel "Lichtspiel" in fast allen nur denkbaren Ambivalenzen von Kehlmann eingelöst wird. Trickreich lässt der Autor es flackern, wenn er in die nach dem Auftakt chronologisch erzählte Handlung alle möglichen Gegenwartsbezüge verwebt. Ein Lichtspiel ist "Lichtspiel" sicher auch in dem Sinne, dass diese Geschichte von den Anfängen des Kinos, in denen Pabst Pionierarbeit leistete und unter anderem die Weltkarriere von Greta Garbo ermöglichte, selbst aus wechselnden Perspektiven filmisch erzählt wird.
Gerade weil Kehlmann ein so unbestritten könnender Erzähler ist, stellt sich am Ende von "Lichtspiel" dennoch eine sonderbare Verblüffung ein, auch eine kleine Ratlosigkeit. Eigentlich stimmt wieder alles, eigentlich hat man das Buch vor lauter Neugier mehr mit Hast gelesen statt nur mit Eile, und doch fehlt da dieses überragende Gefühl, einen weiteren Sofortklassiker der Gegenwartsliteratur zum ersten und sicher nicht letzten Mal gelesen zu haben.
Woran liegt's? An den Figuren und deren Aufstellung wohl schon mal nicht. G.W. Pabst bekommt erwähnten Assistenten Wilzek zur Seite gestellt sowie einen bald sehr langen Schatten, Kuno Krämer vom Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda, eine lebende Goebbels-Sprechpuppe und also extrem rechte Hand des Ministers. Zwischen diesen drei spannt sich der Schrecken auf, der entsteht, wenn der Wille zur Kunst so bedingungslos ist, dass er den Menschen entleert.
Ins Hintertreffen gerät dabei allen voran Pabsts Sohn, der in "Lichtspiel" Jakob heißt und dessen Hochbegabung Pabst so lange verkümmern lässt, bis aus diesem Sohn ein vorbildlich stumpfer Hitlerjunge wird, dessen Leben vorerst nur noch ein Ziel kennt, nämlich die Front. Ins Hintertreffen gerät ebenfalls Jakobs Mutter Trude, die das ganze Elend ihrer Familie weit vor ihrem Mann begreift und daran doch nichts ändern kann, was für sie natürlich alles nur noch schlimmer macht.
Zu einem kleinen bis mittleren Problem für "Lichtspiel" könnte jedoch geworden sein, dass Kehlmann diese seine Figuren oft abfilmt, statt in sie hineinzublicken, und dass seine Methode oft erdrückt zu werden droht vom Sujet, auf das er sie diesmal angesetzt hat. Wo in der Halbdistanz sonst Platz genug war für die Magie, mit der der Autor so gern arbeitet, wird es nun eng - zu gewaltig und weiterhin gegenwärtig ist der Schrecken des "Dritten Reichs", zu unverjährt und unverjährbar sind die bitteren moralischen Fragen nach persönlicher Schuld und fahrlässigem bis willfährigem Nutznießertum.
In einem Lesekreis, der sich selbst zensiert, tut die zur Komödie verzerrte Katastrophe besonders weh
In Marbach sagte Daniel Kehlmann, "das Unseriöse war immer schon der Ort, an dem sich die Kunst entfalten konnte" - fürs Unseriöse aber ist der Stoff zu erdrückend. Und das Seriöse bleibt in "Lichtspiel" eine zuweilen latent pflichtschuldige Bezugnahme auf Filmgeschichte und -geschichten, inklusive etwas blasser Gastauftritte von eben Greta Garbo über Fritz Lang bis zu Heinz Rühmann. In Summe vermag all das wiederum nicht, den Roman zu wesentlich mehr zu machen als der Abfolge seiner für sich genommen wie gesagt oft fehlerlos und oft wieder beeindruckend erzählten Szenen.
In Erinnerung bleiben wird unter anderem Trudes Erstbesuch in einem Lesekreis, in dem ausschließlich Titel des schmiegsamen Unterhaltungsschriftstellers Alfred Karrasch gelesen werden. Der sich selbst zensierende Haufen von Weibern tut so, als wäre alles in Ordnung, wiewohl alle wissen, dass es das nie und nimmer ist. Hier tut die zur bitteren Komödie verzerrte Katastrophe besonders weh, auch weil das Lachen dabei genauso unvermeidlich ist wie die damit einhergehende Gewissheit, dass es sich eigentlich verbietet. So taumelt man dahin, zwar wie immer fest an der Hand des kundigen Erzählers - über allerdings doch sehr unwegsames Gelände.
Geben Sie einfach Ihre Daten ein und abonnieren Sie kostenlos den SZ Shop Newsletter.
Entdecken Sie vor allen anderen...
✓ aktuelle Aktionen & Angebote✓ interessante Produktneuheiten✓ Geschenkideen für jeden Anlass