Prickelnde Tropfen für die Festtage: Jetzt entdecken
Rezensiert in der SZ von Martina Knoben
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Vollständige Rezension anzeigen Diese Stadt gehört auch mir Frankreichs Starzeichner Joann Sfar blickt in "Die Synagoge" auf seine Jugend in Nizza zurück - und auf fast alltäglichen Antisemitismus. Es sind die Achtzigerjahre in Nizza. Nach einer Reihe von Bombenanschlägen auf Synagogen haben Mitglieder der jüdischen Gemeinde einen Wachschutz organisiert, dem auch der 17-jährige Joann angehört. Nicht, weil er mit einem Attentat rechnet - er will sich vor dem Gottesdienst drücken, den er seit Kindertagen öde findet. "Bitte bleiben Sie nicht vor der Synagoge stehen!", weist er jeden an, der aus der Synagoge raus- oder daran vorbeigeht. Aber er bekommt es - Vorsicht Spoiler! - ,niemals mit einem Terroristen zu tun, dafür mit einer resoluten alten jüdischen Dame: "Du willst den Juden erzählen, wohin sie gehen dürfen?" Das klingt wie einer dieser fein ironischen Einfälle von Joann Sfar, der mit der Comicserie "Die Katze des Rabbiners" bekannt wurde, mit ihr außerdem bewies, wie lustig das Judentum sein kann. In den zahlreichen Arbeiten des 1971 in Nizza geborenen Zeichners und Szenaristen (der außerdem Filme macht und Bücher schreibt) spielen der jüdische Glaube, jüdische Traditionen und Mythen fast immer eine wichtige Rolle. In seiner Graphic Novel "Die Synagoge" blickt Sfar auf seine Kindheit und Jugend in Nizza zurück: auf schwierige Familienverhältnisse, seine komplizierte Beziehung zum jüdischen Glauben, vor allem aber auf fast alltäglichen, schrecklich banalen Rassismus und Antisemitismus. ",Jude' bedeutet auf Hebräisch: ,Du hast immer Angst'", heißt es einmal in "Die Katze des Rabbiners". Am Ende von "Die Synagoge" findet sich nun eine "Antijüdische Wetterkunde", eine "kleine Chronologie antisemitischer Vorfälle seit meiner Geburt", dazu Kopien von Zeitungsauschnitten. Wie mit dem Hass umgehen? Der jugendliche Joann ringt lange um seine Haltung (und Reaktion) zu Skinheads und Neonazis, rechtsradikalen Attentätern - und Politikern! Hitler töten? "Er war so mittelmäßig! Deshalb hab ich die Gefahr nicht erkannt" Wie viele Geschichten Sfars wirkt auch diese etwas planlos. Geradliniges Erzählen ist ebenso wenig sein Ding wie die ligne claire. Sfar krakelt, und sein zittrig lebendiger Strich passt hervorragend zum produktiven Durcheinander der Erzählung. Sie wechselt von dem 17-jährigen Wächter vor der Synagoge zum Kleinkind Joann, das während des Gottesdienstes gelangweilt mit einer Schlumpf-Figur spielt. Dann ist er bei seinem 49-jährigen Zeichner-Ich, das mit einer Corona-Infektion im Krankenhaus liegt und unter der Wirkung von drei Litern Sauerstoff Visionen jüdischen Kampfgeistes hat. Wobei der markige Kämpfer Joseph Kessel, dessen Geist Sfar im Krankenhaus heimsucht, ein Grundproblem jüdischen Widerstands formuliert: Er, Kessel, hätte die Chance gehabt Hitler zu töten, während einer von Hitlers frühen Wirtshausreden. Aber: "Er war so mittelmäßig! Deshalb hab ich die Gefahr nicht erkannt." Joann steht immer wieder vor ähnlichen Problemen. Auch während des Wachschutzes passiert nicht viel, immerhin bringt das Kampfsporttraining Joann etwas Anerkennung von seinem Vater. Dem Leser beschert es außerdem sehr lustige Momente, wenn etwa eine sexy Trainerin sich den Jungen vornimmt und ihr Tritt in seinen Schritt ihn völlig wuschig macht. Weniger lustig sind die offen antisemitischen Auftritte des Front National. Oder wenn der ehemalige SS-Mann Franz Schönhuber, eingeladen von Jean-Marie Le Pen, nach Nizza kommt und bejubelt wird. Sfar gewährt in seiner Graphic Novel sehr persönliche Einblicke in seine Jugend. Die Mutter war früh gestorben. Der Vater, aus Algerien stammend, verteidigte als Anwalt Nizzas Gangster und brachte einige Neonazis ins Gefängnis. Wegen seines Engagements wurde er immer wieder bedroht. Joann ringt mit diesem Über-Vater, dem Mann des Gesetzes, der sich selbst aber nicht immer an die Gesetze hält. Er prügelt sich häufig (und gerne?). "Das faszinierte und traumatisierte mich gleichermaßen", schreibt Sfar. Frustriert erlebt Joann, wie ein Neonazi, der einem afrikanischen Türsteher ins Auge geschossen hatte, mit einer lächerlichen Strafe davonkommt. Kämpfen mit Fäusten, Füßen und Baseballschlägern also? Eine Lebensentscheidung trifft Joann, als er nachts auf einer menschenleeren Straße dem Mann begegnet, der einen jüdischen Friedhof geschändet hat. "Meine Mutter wohnt auf einem jüdischen Friedhof. Ich nehme das persönlich." Die Gelegenheit wäre günstig. Joann überlegt, den Friedhofsschänder zu töten. Der Star-Zeichner Joann Sfar meldet sich heute regelmäßig mit Kommentaren zur französischen Politik oder zu antisemitischen Vorfällen zu Wort und und folgt damit - und mit seinem riesigen œuvre - dem Rat des Comickünstlers Hugo Pratt, Schöpfer des Abenteurers Corto Maltese: "Man muss Bücher machen und Freundschaften schließen." Joann zitiert ihn am Strand in der Sonne liegend. "Die Synagoge" ist schließlich auch eine Liebeserklärung: an Sfars Heimatstadt, ihre Strände, das Meer, den mediterranen Himmel (was für ein Blau!). Nach dem Parteitag Le Pens, bei dem der frühere SS-Mann Schönhuber zu Gast war, gehen viele von dessen Anhängern auf die Straße. Darunter Joann. "Ich habe mich nie so verbunden mit Frankreich und meiner Stadt gefühlt wie an jenem Tag", schreibt er. "Diese Fahne gehört ihnen nicht mehr als mir."
Frankreichs Starzeichner Joann Sfar blickt in "Die Synagoge" auf seine Jugend in Nizza zurück - und auf fast alltäglichen Antisemitismus.
Es sind die Achtzigerjahre in Nizza. Nach einer Reihe von Bombenanschlägen auf Synagogen haben Mitglieder der jüdischen Gemeinde einen Wachschutz organisiert, dem auch der 17-jährige Joann angehört. Nicht, weil er mit einem Attentat rechnet - er will sich vor dem Gottesdienst drücken, den er seit Kindertagen öde findet. "Bitte bleiben Sie nicht vor der Synagoge stehen!", weist er jeden an, der aus der Synagoge raus- oder daran vorbeigeht. Aber er bekommt es - Vorsicht Spoiler! - ,niemals mit einem Terroristen zu tun, dafür mit einer resoluten alten jüdischen Dame: "Du willst den Juden erzählen, wohin sie gehen dürfen?"
Das klingt wie einer dieser fein ironischen Einfälle von Joann Sfar, der mit der Comicserie "Die Katze des Rabbiners" bekannt wurde, mit ihr außerdem bewies, wie lustig das Judentum sein kann. In den zahlreichen Arbeiten des 1971 in Nizza geborenen Zeichners und Szenaristen (der außerdem Filme macht und Bücher schreibt) spielen der jüdische Glaube, jüdische Traditionen und Mythen fast immer eine wichtige Rolle.
In seiner Graphic Novel "Die Synagoge" blickt Sfar auf seine Kindheit und Jugend in Nizza zurück: auf schwierige Familienverhältnisse, seine komplizierte Beziehung zum jüdischen Glauben, vor allem aber auf fast alltäglichen, schrecklich banalen Rassismus und Antisemitismus.
",Jude' bedeutet auf Hebräisch: ,Du hast immer Angst'", heißt es einmal in "Die Katze des Rabbiners". Am Ende von "Die Synagoge" findet sich nun eine "Antijüdische Wetterkunde", eine "kleine Chronologie antisemitischer Vorfälle seit meiner Geburt", dazu Kopien von Zeitungsauschnitten. Wie mit dem Hass umgehen? Der jugendliche Joann ringt lange um seine Haltung (und Reaktion) zu Skinheads und Neonazis, rechtsradikalen Attentätern - und Politikern!
Hitler töten? "Er war so mittelmäßig! Deshalb hab ich die Gefahr nicht erkannt"
Wie viele Geschichten Sfars wirkt auch diese etwas planlos. Geradliniges Erzählen ist ebenso wenig sein Ding wie die ligne claire. Sfar krakelt, und sein zittrig lebendiger Strich passt hervorragend zum produktiven Durcheinander der Erzählung. Sie wechselt von dem 17-jährigen Wächter vor der Synagoge zum Kleinkind Joann, das während des Gottesdienstes gelangweilt mit einer Schlumpf-Figur spielt. Dann ist er bei seinem 49-jährigen Zeichner-Ich, das mit einer Corona-Infektion im Krankenhaus liegt und unter der Wirkung von drei Litern Sauerstoff Visionen jüdischen Kampfgeistes hat. Wobei der markige Kämpfer Joseph Kessel, dessen Geist Sfar im Krankenhaus heimsucht, ein Grundproblem jüdischen Widerstands formuliert: Er, Kessel, hätte die Chance gehabt Hitler zu töten, während einer von Hitlers frühen Wirtshausreden. Aber: "Er war so mittelmäßig! Deshalb hab ich die Gefahr nicht erkannt." Joann steht immer wieder vor ähnlichen Problemen.
Auch während des Wachschutzes passiert nicht viel, immerhin bringt das Kampfsporttraining Joann etwas Anerkennung von seinem Vater. Dem Leser beschert es außerdem sehr lustige Momente, wenn etwa eine sexy Trainerin sich den Jungen vornimmt und ihr Tritt in seinen Schritt ihn völlig wuschig macht. Weniger lustig sind die offen antisemitischen Auftritte des Front National. Oder wenn der ehemalige SS-Mann Franz Schönhuber, eingeladen von Jean-Marie Le Pen, nach Nizza kommt und bejubelt wird.
Sfar gewährt in seiner Graphic Novel sehr persönliche Einblicke in seine Jugend. Die Mutter war früh gestorben. Der Vater, aus Algerien stammend, verteidigte als Anwalt Nizzas Gangster und brachte einige Neonazis ins Gefängnis. Wegen seines Engagements wurde er immer wieder bedroht. Joann ringt mit diesem Über-Vater, dem Mann des Gesetzes, der sich selbst aber nicht immer an die Gesetze hält. Er prügelt sich häufig (und gerne?). "Das faszinierte und traumatisierte mich gleichermaßen", schreibt Sfar.
Frustriert erlebt Joann, wie ein Neonazi, der einem afrikanischen Türsteher ins Auge geschossen hatte, mit einer lächerlichen Strafe davonkommt. Kämpfen mit Fäusten, Füßen und Baseballschlägern also? Eine Lebensentscheidung trifft Joann, als er nachts auf einer menschenleeren Straße dem Mann begegnet, der einen jüdischen Friedhof geschändet hat. "Meine Mutter wohnt auf einem jüdischen Friedhof. Ich nehme das persönlich." Die Gelegenheit wäre günstig. Joann überlegt, den Friedhofsschänder zu töten.
Der Star-Zeichner Joann Sfar meldet sich heute regelmäßig mit Kommentaren zur französischen Politik oder zu antisemitischen Vorfällen zu Wort und und folgt damit - und mit seinem riesigen œuvre - dem Rat des Comickünstlers Hugo Pratt, Schöpfer des Abenteurers Corto Maltese: "Man muss Bücher machen und Freundschaften schließen." Joann zitiert ihn am Strand in der Sonne liegend. "Die Synagoge" ist schließlich auch eine Liebeserklärung: an Sfars Heimatstadt, ihre Strände, das Meer, den mediterranen Himmel (was für ein Blau!). Nach dem Parteitag Le Pens, bei dem der frühere SS-Mann Schönhuber zu Gast war, gehen viele von dessen Anhängern auf die Straße. Darunter Joann. "Ich habe mich nie so verbunden mit Frankreich und meiner Stadt gefühlt wie an jenem Tag", schreibt er. "Diese Fahne gehört ihnen nicht mehr als mir."
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