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Warum immer mehr Staaten am Abgrund stehen - Roman - Rezensiert in der SZ von Rudolf Walther
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Wie wird ein Staat zu seinem eigenen Kriegsschauplatz?
Immer häufiger kommt es rund um den Globus zu Bürgerkriegen. Barbara Walter ist eine der renommiertesten Expertinnen auf diesem Gebiet. Ihr Buch ist ein Weckruf - ganz besonders für die westliche Welt.
Ein Bürgerkrieg kommt immer scheinbar überraschend - und er kostet Tausende das Leben, zerstört Gesellschaften und die Zukunft von Millionen Menschen. Barbara Walter forscht seit Jahrzehnten zu der Frage, welches die wiederkehrenden Muster sind, die auf eine baldige Eskalation in einer Gesellschaft hindeuten.
In den USA ist Barbara Walter bekannt als Mahnerin, die gesellschaftlichen Risse zu kitten, bevor es zu spät ist. Nicht erst seit dem Sturm auf das Kapitol gehört sie zu den gefragtesten Expertinnen im Land. Ausgehend von verschiedenen Bürgerkriegen auf der ganzen Welt erklärt sie in "Bürgerkriege" fundiert und anschaulich, unter welchen Umständen Staaten in Aufruhr und Chaos abgleiten. Ihre Erkenntnisse sind ebenso erhellend wie alarmierend.
Angesichts des Sturms auf das Parlament in Brasilia und des immer noch nicht aufgearbeiteten Sturms auf das Kapitol in Washington ist Barbara F. Walters Buch über Staaten am Abgrund topaktuell. Die Politikwissenschaftlerin ist Expertin für Bürgerkriege und untersucht seit langer Zeit, warum und wie Demokratien ins Chaos stürzen. Nicht die ärmsten, nicht die repressivsten oder ethisch vielfältigsten Länder seien da in Gefahr, sondern die, die ein gestörtes Verhältnis zur Demokratie vorweisen. Und diese Faktoren findet Walter seit der Trump-Präsidentschaft auch in den USA. Vor allem zeigt sie eindrucksvoll auf, dass viele Bürger vom Abgleiten der Demokratie in eine Autokratie oft nichts mitbekommen. Und irgendwann ist es zu spät.
Die Politikwissenschaftlerin Barbara F. Walter hat untersucht, unter welchen Umständen Staaten in Aufruhr und Chaos abgleiten. Besonders gefährdet sind aus ihrer Sicht die USA. Aber auch in Europa sieht sie böse Vorzeichen.
Der Sturm auf das Kapitol in Washington hat sich eben das zweite Mal gejährt, und das peinliche Remake, respektive Bolsonaros Kopie von Trumps Putschversuch, liegt erst einige Tage zurück und verweist auf die Gefährdung der Demokratie in Südamerika, mit seinen putscherprobten Militärs. "Bürgerkriege. Warum immer mehr Staaten am Abgrund stehen" von Barbara F. Walter könnte das Buch der Stunde dazu sein. Auch wenn dabei Begriffe wie "Anokratie" und "Faktionalismus" eine Rolle spielen.
Die amerikanische Politikwissenschaftlerin Walter erwarb ihre Sensibilität für die Gefährdungen der Demokratie durch Ungleichheit, Ungerechtigkeit, mangelnde oder ganz fehlende Rechtsstaatlichkeit und Unsicherheit: von ihrer Mutter. Diese stammte aus dem Schweizer Halbkanton Appenzell Innerrhoden, wo eine männliche Mehrheit der Stimmbürger von nicht einmal 20 000 Einwohnern bis 1991 erfolgreich verhinderte, dass Frauen politisch gleichberechtigt wurden wie in den meisten anderen Kantonen seit immerhin 1972 und in fast allen Staaten seit dem Ende des Ersten Weltkriegs. Der Abstimmungserfolg von 1991 war übrigens nur möglich nach einer erfolgreichen Klage von 100 Bürgern und einem positiven Urteil des höchsten Schweizer Gerichts.
Viele Bürger nehmen den schleichenden Wandel gar nicht wahr
Die Autorin zeigt in ihrem Buch überzeugend, wie Staaten, bevor sie in offene Bürgerkriege hineingeraten, ein Stadium durchlaufen, in dem demokratische Rechte und Garantien systematisch aufgeweicht werden, um schließlich im offenen Autoritarismus zu stranden, der zum bewaffneten Konflikt führt. Dieser Prozess vollzieht sich schleichend, er wird von den meisten Bürgern unterschätzt und nicht wahrgenommen.
Barbara F. Walter ist seit 2017 Mitglied in der Forschungsgruppe Political Instability Task Force (PITF), die die US-Regierung berät, um optimal auf Tendenzen reagieren zu können, wenn Staaten in den Sog demokratiegefährdender Prozesse geraten, also in das Stadium der Anokratie. Diesen Begriff prägte der Politikwissenschaftler Robert Gurr für Staaten "in der Zwischenzone zwischen Noch-Demokratie und ausgebildeter Autokratie, also für ein Zwitterwesen oder Übergangsregime mit demokratischen Zügen, das jedoch bereits eine Regierung mit autokratischen Befugnissen" zulässt. Ungarn unter Viktor Orbán, die Türkei unter Recep Tayyip Erdoğan und Polen unter Jarosław Kaczyński sind Beispiele für heutige Anokratien.
Das Buch handelt von Bürgerkriegen in allen Teilen der Welt - in Palästina, Libanon, dem Irak, dem Balkan, Nordirland, Ruanda und Simbabwe, aber das Hauptinteresse der Autorin gilt den Prozessen in den USA. Während ihrer Mitarbeit in der Forschergruppe PITF war Walter nämlich "überrascht, dass viele Indikatoren für Bürgerkriege bzw. eine Anokratie in den USA sehr präsent" sind, und studierte die entsprechenden Analysen und Informationen in den Datenbanken des "Polity Project" des Center for Systemic Peace von Robert Gurr und Monty Marshall.
Ihr Gewicht ist nicht durchschnittlich, nicht normal, und deswegen, so argumentiert der Roman, für den Vater, einen Mann aus bäuerlichen Verhältnissen, einen Emporkömmling, inakzeptabel. Er will nicht auffallen, schon gar nicht durch Makel, und macht - Mann seiner Zeit, Patriarch, Herr im Haus - den Körper seiner Ehefrau zu seinem Problem. Behandelt sie, als wäre sie sein Besitz. Jeden Morgen muss sie sich unter seiner Aufsicht wiegen, ist ständig seinem Tadel über ihren Körper ausgesetzt. Und als Frau ihrer Zeit und Verhältnisse lässt sie es sich gefallen. Zwar nicht für immer, um den Ausgang dieser Ehe zu spoilern, so wie Daniela Dröscher es bereits im ersten Drittel tut. Aber die leidvollen Jahre lang, von denen der Roman erzählt.
Auch gut gemeinte Demokratisierung kann gefährlich sein
Vor allem interessiert sie die Entwicklung und die Rolle des Internets und speziell der sozialen Medien in Ländern und bei Gesellschaften in unterschiedlichen Stadien der Aushöhlung und Entleerung der Demokratie. Dabei kommt sie zu sehr aufschlussreichen, durchwegs empirisch sehr gut belegten Befunden. So kann sie zeigen, dass die Gefahr eines Bürgerkriegs in einem Land immer dann "am größten ist, wenn es sich auf die Demokratie zu- oder von ihr wegbewegt". Hochgefährdet ist die Demokratie in Ländern, die den Prozess der Demokratisierung zu schnell oder zu radikal verfolgen. Sie landen eher in der "Zwischenzone, der Anokratie" als bei einer substanzielleren Form der Demokratie, denn: "Es gehört zu den unbequemen Wahrheiten der Demokratisierung, dass die Wahrscheinlichkeit eines Bürgerkriegs wächst, je schneller die Reform ausfällt."
Andere Befunde erschüttern weitherum als plausibel geltende journalistische Gemeinplätze robusterer Natur. So sind "nicht die ärmsten Länder am konfliktträchtigsten, nicht die mit der größten Ungleichheit, nicht die repressivsten und nicht jene mit der größten ethnischen Vielfalt.(...) Verhältnisse mit der partiellen Demokratie bringen Bürger dazu, zu den Waffen zu greifen". Allerdings räumt die Autorin auch ein, dass "selbst mit den besten Daten sich die Zukunft nicht vorhersagen lässt".
Social Media als Brandbeschleuniger
Als wichtigste Brandbeschleuniger von Konflikten haben sich historisch die Mobilisierung ethnisch-nationaler und religiös-sozialer Gegensätze, Vorurteile und Ressentiments erwiesen. Eine regelrechte "Vorstufe zum Bürgerkrieg" bilden nach den Forschungsergebnissen der PITF faktionalisierte Gesellschaften, also Gesellschaften, in denen sich ethnische und/oder religiöse Interessengruppen zu homogenen Cliquen oder Parteien verschweißen, die auf der Grundlage von ethnischen und/oder religiösen Zuschreibungen eine radikal identitätsbasierte Politik der Abgrenzung und Ausgrenzung propagieren und durchsetzen, sobald sie dazu in der Lage sind. Die Social Media haben die Bandbreite, Reichweite und Effizienz dieser Faktionen schlagartig vervielfacht und beträchtlich erweitert. Das weltweit eindrücklichste Beispiel und Vorbild für diese akute Form der politischen Polarisierung ("Faktionalismus") ist die flächendeckende Agitation bis hin zur Volksverhetzung mithilfe von Social Media durch den (abgewählten) US-Präsidenten Donald Trump. Er erreichte damit, dass sich für die Gründung bewaffneter Milizen und für Waffenverkäufe eine Hochkonjunktur einstellte.
Das letzte Kapitel des Buches von Barbara F. Walter handelt davon, "wie man einen Bürgerkrieg verhindert". Es ist bezeichnenderweise eines der längsten und dreht sich fast nur um die Defizite der amerikanischen Demokratie. Denn diese ist für die Autorin in ernster Gefahr, wozu die seit 50 Jahren sinkenden Sozialleistungen und die Unterwanderung der Sicherheitskräfte durch Rechtsradikale ebenso beigetragen haben wie das in vielfacher Hinsicht defizitäre Wahlsystem und das Fehlen einer zentralisierten Wahlkommission mit für demokratische Wahlen elementaren Aufgaben und Kompetenzen. Eine solche Kommission müsste Wahlen auf deren Rechtmäßigkeit überprüfen, die Finanzierung der Wahlkämpfe kontrollieren oder die Manipulation der Wahlkreise durch falsche demografische Annahmen und Spekulationen ("Gerrymandering") verhindern und die Willkür bei der Zulassung und Erstellung von Wahlregistern unterbinden.
Korrektur: In einer früheren Version dieses Artikels hatten wir den Sturm aufs Kapitol fälschlicherweise auf das Jahr 2022 datiert. Er fand jedoch im Jahr 2021 statt.
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