Entdecken Sie die neue Herbstedition 2023 in der Vinothek >>
Leben und Tat des Johann Georg Elser - Rezensiert in der SZ von Cord Aschenbrenner
[{"variant_id":"44451090170123" , "metafield_value":""}]
Der Hitler-Attentäter Georg Elser ist trotz vieler Bemühungen noch immer eine der unbekannteren Personen aus dem Widerstand. Nun hat der Historiker Wolfang Benz, wie Elser selbst von der Ostalb stammend, seinem schwäbischen Landsmann ein würdiges Denkmal gesetzt. Einfühlsam und in bester Kenntnis der Menschen auf der Alb schildert Benz das Leben des Kunstschreiners, der ohne große Bildung und ohne politische Agenda seinem Gewissen folgte und 1939 zur Tat schritt - zu einem Zeitpunkt, als andere Hitlergegner noch zögerten und zauderten. Besonders wertvoll ist, wie Benz die Nachgeschichte des Attentats in der Bundesrepublik beleuchtet. Denn hier erfährt man auch, warum Elser zu Unrecht so lange hinter dem militärischen Widerstand zurückstehen musste.
Wolfgang Benz zeichnet seinen Landsmann Georg Elser als couragierten Widerständler, der seinem Gewissen folgte.
Erst spät ist Georg Elser in den Olymp des Widerstands gegen die NS-Diktatur aufgenommen worden. Die Nachwelt verkannte den knapp gescheiterten Hitler-Attentäter aus Königsbronn auf der Ostalb lange als dubiose historische Randfigur. Dank einer ingeniös konstruierten Zeitzünderbombe wäre es ihm, der ganz allein handelte, am 8. November 1939 fast gelungen, den Diktator bei einer Rede im Münchner "Bürgerbräukeller" zu töten. Bis heute ist der 1903 auf den Namen Johann Georg evangelisch getaufte Elser nicht so berühmt wie Claus Schenk Graf von Stauffenberg, der Attentäter vom 20. Juli 1944; er ist kein Idol wie Sophie Scholl, die zusammen mit ihrem Bruder Hans und weiteren Mitverschwörern gegen das Regime 1943 hingerichtet wurde.
Ginge es nach der unbedingten Entschlossenheit, den Diktator beseitigen zu wollen und damit noch größeres Blutvergießen zu verhindern, nach der Raffinesse des Tatplans und nicht zuletzt nach dem ungeheuren Mut Georg Elsers, müsste dieser heute an der Spitze der Ruhmespyramide stehen. Denn der militärische Widerstand, der sich aus dem großen Offizierskorps der Wehrmacht rekrutierte, brauchte deutlich länger, um sich schließlich zur Tat durchzuringen (und seinerseits mehrmals zu scheitern), als der in der Regel als "schwäbischer Schreiner" apostrophierte Elser
Ein von der Landschaft beeinflusster Widerstandsgeist?
Wolfgang Benz, bis 2011 Leiter des Instituts für Antisemitismusforschung an der TU Berlin, Verfasser zahlreicher Werke zur NS-Zeit, zum Antisemitismus und zum Holocaust sowie zur Opposition gegen Hitler, hat nun ein vergleichsweise schmales Buch über seinen württembergischen Landsmann geschrieben. Wie dieser stammt Benz von der Ostalb. Im Vorwort schreibt er von einem "Desiderat der bisherigen wissenschaftlichen Literatur", nämlich "dem Einfluss der Landschaft und ihrer Menschen auf den Entschluss des bildungsfernen Handwerkers zum Widerstand in seiner höchsten Ausprägung, dem Tyrannenmord".
Die Schwäbische Alb also als Brutstätte des Widerstandsgeistes, zumindest aber einer gewissen Aufsässigkeit, auch von ihr ist im Vorwort die Rede. Es handelt sich vorderhand um die Aufsässigkeit des Studenten Benz, der in den Sechzigerjahren als studentische Hilfskraft kein ganz spannungsfreies Verhältnis zum Leiter des Archivs im Münchner Institut für Zeitgeschichte, Anton Hoch, hatte. Hoch hatte das "Bürgerbräu"-Attentat penibel erforscht, von ihm und dem Historiker Lothar Gruchmann, der das Gestapo-Protokoll der Vernehmung Elsers nach dem gescheiterten Anschlag entdeckt hatte, stammt die erste wissenschaftliche Elser-Monografie aus dem Jahr 1980 ("Der Attentäter aus dem Volke").
Von Elser ist nichts Schriftliches überliefert
Aus dieser Zeit datiert Benz' Vertrautheit mit dem Gegenstand. Eigene wissenschaftliche Anfänge also, biografisch-regionale Bezüge, das Lebensthema NS-Zeit verwoben sich zu dem Vorhaben eines "Lebensbildes", das sich nun auf knapp zweihundert Textseiten entfaltet. Dies, obwohl Benz zu Beginn auf die Schwierigkeiten dieses Vorhaben hinweist, etwa, dass es zwar das Verhörprotokoll gibt, aber keine schriftlichen Äußerungen Elsers - "der wortkarge Mann schrieb nicht".
Also schildert der Biograf erst einmal die auch ihm vertraute Gegend, in der Georg Elser zur Welt kam - ein geschickter Kunstgriff, um deutlich zu machen, was den späteren Widerstandskämpfer prägte. Er beschreibt den eigensinnigen, zuweilen widerspenstigen Menschenschlag auf der Ostalb, das "rebellische Selbstbewusstsein" der Bürger von Königsbronn; dessen Ursprung sieht Benz auch in der Auflehnung gegen die ausufernde Jagdleidenschaft des berüchtigt despotischen Landesherrn Karl Eugen von Württemberg im 18. Jahrhundert. Auch die Geschwister Scholl und Claus Graf Stauffenberg stammten aus der weiteren Umgebung, was ihren Widerstandsgeist beflügelt haben mag oder auch nicht; allerdings werden sie nie - anders als Georg Elser, wie Benz spitz bemerkt -, mit dem Attribut "schwäbisch" versehen, bei dem immer etwas wie Einfalt und Provinzialität mitschwinge.
Elser bevorzugte den Begriff Kunstschreiner
Der Historiker schildert den Lebensweg Elsers, der in bescheidenen, protestantisch-pietistisch geprägten Verhältnissen aufwuchs, mit großem Einfühlungsvermögen. Der handwerklich und musikalisch hochbegabte junge Mann legte größten Wert darauf, Kunstschreiner zu sein, nicht nur Schreiner - ein sensibler Eigenbrötler, gleichwohl fröhlich und gesellig, der Frauen liebte und offenbar von diesen geliebt wurde.
Benz skizziert ihn als nachdenklichen Staatsbürger, der über nicht mehr als eine Grundschulbildung verfügte, wohl aber über einen scharfen Verstand - schon früh erkannte er den verbrecherischen Charakter des Regimes. In eleganter, gut lesbarer Prosa zeichnet Benz die Umrisse eines eher unpolitischen Menschen, der sich zum Handeln gedrängt fühlte: als protestantisch erzogener Christ und als Pazifist aus Gefühl und Überzeugung. Hinzu kamen "Realitätssinn, ein intaktes ethisches Wertesystem und die feste Überzeugung, was Unrecht und deshalb nicht hinzunehmen war".
Elsers Plan, den Tyrannen zu töten, scheiterte trotz akribischer Vorbereitung, der "Führer" verließ den Saal vor der Explosion der Bombe, die acht Menschen in den Tod riss. Noch am selben Abend wurde Georg Elser dank eines Zufalls verhaftet, er starb am 9. April 1945 im Konzentrationslager Dachau, ermordet von einem SS-Mann. Die Jahre zuvor verbrachte er als "persönlicher Gefangener des Führers" im KZ Sachsenhausen bei Berlin. Nach dem Krieg sollte ihm zusammen mit seinen angeblichen Anstiftern vom britischen Geheimdienst - anders konnte es nach Meinung der NS-Spitze nicht sein - der Prozess gemacht werden.
Aus der NS-Propaganda und der langen Gefangenschaft erwuchsen nach dem Krieg allerlei Mythen um Elser, Verschwörungserzähler - unter ihnen der evangelische Theologe und ehemalige KZ-Häftling Martin Niemöller - deuteten seine Geschichte um. Auch über die Verkennung des Attentäters und die Wirkungsgeschichte seiner Tat schreibt Wolfgang Benz. Vor allem aber zeigt er in seiner so unkonventionellen wie unpathetischen Annäherung an Georg Elser diesen so, wie er wohl war: als bewundernswert couragierten Menschen, der seinem Gewissen folgte.
Geben Sie einfach Ihre Daten ein und abonnieren Sie kostenlos den SZ Shop Newsletter.
Entdecken Sie vor allen anderen...
✓ aktuelle Aktionen & Angebote✓ interessante Produktneuheiten✓ Geschenkideen für jeden Anlass