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Von der disruptiven Erfahrung sinnlichen Selbstverlustes, über die Zeitenwende in der Energiepolitik bis hin zu Goebbels Sportpalastrede: die Bücher des Monats im Februar.
Können Liebe und Sinnlichkeit mehr Wahrheit enthalten als Bibliotheken? Dieser Gedanke mag für einen Theologiestudenten, der seit einer halben Ewigkeit an seiner Dissertation arbeitet und mit seiner Freundin ein entschleunigtes und sorgenfreies Leben führt, gewöhnungsbedürftig sein. Doch seine ruhige Existenz wird jäh unterbrochen, als er auf einem Symposium die Künstlerin Katharina trifft. In kurzer Zeit entführt sie den verträumten Theoretiker in ein Mysterium des sinnlichen Selbstverlustes. Der neue Roman von Emanuel Maeß ist eine staunenswerte Rarität in der gegenwärtigen Literaturlandschaft, die antiquiert und hochmodern, fromm in Teilen, neu-nazarenisch und frech obendrein daherkommt.
Virginie Despentes macht sich auf eine Tour de France durch die gesellschaftlichen Debatten und Konflikte unserer Zeit: Oskar, ein erfolgreicher Schriftsteller, muss sich rechtfertigen, weil er eine Verlagsmitarbeiterin offensiv angebaggert hat. Um sich Luft zu verschaffen, kommentiert er das Aussehen der berühmten, mitlerweile über fünfzigjährigen Schauspielerin Rebecca auf Instagram. Sie antwortet mit der Textversion eines nasenbeinbrechenden Schwingers. Erzählt wird in der Form eines Briefromans, der nur von den Blogeinträgen von Zoé - der traumatisierten Verlagsmitarbeiterin - unterbrochen wird. Ein Buch darüber, wie man Konflikte austrägt und trotzdem im Gespräch bleibt.
Die junge Amerikanerin Maud stammt aus dem amerikanischen Ostküsten-Geldadel und hat noch nicht viel vom Rest der Welt gesehen. Sie bekommt die Gelegenheit, ihren Onkel bei einer Militärmission nach Berlin zu begleiten, die den Deutschen endlich demokratische Prinzipien näherbringen soll - eine willkommene Stundung ihrer Hochzeit mit einem Gouverneurssohn und ihre Form der "Grand Tour" durch Europa. Durch die naiv-distanzierte Sicht ihrer Protagonistin auf den Antisemitismus, den Revanchismus und die allgegenwärtige Schuldabwehr der Deutschen zeichnet Gabriele Tergit auf unnachahmliche Weise ein Porträt Nachkriegsdeutschlands.
Wie ist Deutschland eigentlich vor langer Zeit in die Abhängigkeit von russischem Erdgas geraten? Wer sich das alles noch mal gut informiert erzählen lassen will, sollte zum neuen Buch der Energieökonomin Claudia Kemfert greifen. In "Schockwellen" zeichnet sie akribisch nach, wie die deutsche Regierung das billige Gas des Machthabers Wladimir Putin gerne nahm und bei allem anderen nach dem Motto lebte: wird schon gutgehen. Weil es nicht gutging, zitterten die Deutschen 2022/23 ein wenig vor einem kalten Winter. Aber dass nun viel mehr geschehen muss bei der Energiewende als anderswo Erdgas aufzutreiben, macht Kemfert auch klar. Ihr kluge und kämpferische Abrechnung mit den "Fossilen" zeigt auf, was dem Klima (und der Politik) wirklich helfen würde.
Kriegerische Zeiten bringen Propaganda mit sich. Darum lohnt es sich, eine Art Meisterwerk der Propaganda der NS-Zeit erneut zu betrachten und gleichzeitig zu entmythologisieren. Der Historiker Peter Longerich hat die berüchtigte Sportpalast-Rede von Joseph Goebbels vom Februar 1943 analysiert und ordnet sie in das historische Umfeld der Niederlage bei Stalingrad und den Machtkampf diverser Nazi-Funktionäre ein. Als der Reichspropagandaminister den "totalen Krieg" proklamierte, hatte er nicht nur den "Endsieg" im Blick, sondern auch eine ganz eigene Agenda. Besonders eindrücklich ist Longerichs Kommentar zu der komplett abgedruckten, zwei Stunden dauernden Rede.
Auf nahezu 900 Seiten breitet der amerikanische Historiker Jerry Z. Muller, das Leben des jüdischen Religionsphilosophen Jacob Taubes vor uns aus. Mit unendlicher Geduld, gleichbleibender Freundlichkeit und seltenen Seitenhieben schafft Muller ein Panorama, das seinesgleichen sucht: Taubes war eine ungemein komplexe, widersprüchliche, zwiespältige und sicher auch tragische Persönlichkeit. Wie kaum ein anderer zeitgenössischer Denker, stand er für die Breite des intellektuellen Lebens im 20. Jahrhundert. 1966 wurde er von der Freien Universität Berlin auf den ersten Lehrstuhl für Judaistik an einer deutschen Universität berufen. Dabei war er nie ein orthodoxer Talmudgelehrter. Ihn faszinierte alles, was häretisch und gegen das überkommene Gesetz war.
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