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Wie uns ziviler Widerstand aus Krisen führt | Von der Mitgründerin der Letzten Generation | Rezensiert in der SZ von Marlene Knobloch
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»Öko-Terroristen!« - »Klima-Kleber« - mit solchen Bezeichnungen werden Menschen diskreditiert, die seit einiger Zeit nicht nur in Deutschland zu neuen Formen des friedlichen Protests und Widerstands greifen und sich für mehr Klimaschutz einsetzen. Lea Bonasera, die die Gruppe Letzte Generation mitgegründet hat, lässt sich davon nicht entmutigen. Im Gegenteil: Sie weiß aus der wissenschaftlichen Forschung, dass der zivile Widerstand ein effektives und demokratisches Mittel ist, um Verantwortliche aus Politik und Wirtschaft dazu zu bringen, endlich entschiedener zu handeln.
Lea Bonasera war nicht nur an zahlreichen Protesten und Straßenblockaden beteiligt, sie kennt sich auch mit aktueller Forschung aus: An der Universität Oxford hat sie sich intensiv mit der Geschichte und den Zielen des zivilen Widerstands beschäftigt. In ihrem Buch schlägt sie eine Brücke zwischen Theorie und Praxis und zeigt, was ziviler Widerstand bedeutet und warum er tatsächlich ein Weg aus der Krise sein kann.
Vollständige Rezension anzeigen Die rationale Radikale Lea Bonasera hat in Oxford studiert und wollte Professorin werden. Stattdessen hat sie die "Letzte Generation" mitgegründet und sitzt nun auf der Anklagebank. Gerade sitzen. Nicht fluchen. Freundlich bleiben. Lachen Sie nicht laut. Führen Sie keine Gespräche. Ziemlich genau so stand es auf Zetteln der Bürgerrechtsbewegung gegen die Rassentrennung in den Sechzigern. So stand es in Appellen bei den Demonstrationen an der Nikolaikirche in Leipzig. Und genau so verhält sich Lea Bonasera an diesem Sommertag am Frankfurter Gericht. Den Rücken durchgestreckt sitzt sie in einem blauen Jumpsuit neben dem jungen Verteidiger. Es ist ein heißer Julitag, draußen lähmt die Mittagssonne die Stadt. Der Verteidiger schiebt geräuschvoll seinen Stuhl zurück, steht auf und kündigt mit tiefem Zynismus in der Stimme die jüngsten "Neuigkeiten zur Klimakatastrophe" an. Er erzählt aufgebracht von Überflutungen in Saragossa, von den weltweit heißesten je gemessenen Durchschnittstemperaturen, argumentiert mit dem "klimatischen Kollaps" gegen den Nötigungs-Paragrafen 240 StGB. Der Richter beugt sich über seine Unterlagen. Lea Bonasera hört zu, sie nickt nicht, zeigt keine Spur Selbstgerechtigkeit oder Wut. Ihr Blick folgt all dem, als sei sie neugierig, wie sich ihr Plan entwickelt. Dass sie hier sitzen würde, war ja von Anfang klar. Seit sie vor knapp zwei Jahren zusammen mit Henning Jeschke und Melanie Guttmann die "Letzte Generation" gegründet hat. Ziemlich genau seitdem reizt sie den hochempfindlichen deutschen Kopfschüttel-Reflex. "Völlig bekloppt" (Olaf Scholz), "Klima-RAF" (Alexander Dobrindt), "Taliban" (Michael Roth), "Ihr seid die größten Hassmenschen" (Typ mit Kaffeebecher und Zigarette auf der Berliner Puschkinallee). Vor diesem Hieronymus-Bosch-haften Gemälde aus brüllenden Autofahrern, Warnwesten, Kartoffelbrei, teerverschmierten Händen (Vordergrund) und brennenden Wäldern in Lackrot (Hintergrund, Ölfarben auf Leinwand) steht also eine hochgewachsene Frau, 25 Jahre alt, mit vollen, lockigen Haaren. Die das alles präzise pinselt. Einmal im Monat spricht sie mit Forschern über zivilen Widerstand Man kann Lea Bonasera einiges vorwerfen. Aber zu sagen, sie hätte nicht nachgedacht, was sie da an einem Januartag lostritt, Hungerstreik, Straßenblockaden und einen daueralarmierten Alexander Dobrindt, das stimmt nicht. Bonasera hat Internationale Beziehungen in Oxford studiert, schreibt gerade ihre Doktorarbeit über zivilen Widerstand in Demokratien und veröffentlicht in dieser Woche ein Buch mit dem überraschend zahmen Titel: "Die Zeit für Mut ist jetzt! - Wie uns ziviler Widerstand aus der Krise führt" (S. Fischer, Frankfurt am Main 2023; 224 Seiten, 18 Euro). Sie testet die Methoden des Politikwissenschaftlers und Friedensaktivisten Gene Sharp, zitiert ihr größtes Vorbild, die Bürgerrechtlerin Diane Nash, orientiert sich an Studien der US-amerikanischen Politikwissenschaftlerin Erica Chenoweth. Einmal im Monat tauscht sie sich mit einer internationalen Forschungsgruppe über zivilen Widerstand aus. Inmitten dieses Pendler-Albtraums, dieser "Extremisten" steht eine Wissenschaftlerin mit leiser Stimme. Deutschlands radikalste Klimabewegung hat eine rationale Radikale an der Spitze. Und die forscht gerade an einer Frage: Welches Maß an Radikalität ist angebracht in einer Zeit, die der UN-Generalsekretär António Guterres "Highway zur Klimahölle" nennt? Es ist nicht fünf nach zwölf, sondern nach eins, als der Richter das Urteil vorliest. Der Verteidiger hat das Verfahren schon weit über die gute Laune hinweg gedehnt und zwischen Waldbränden und Apokalypse schleicht sich die recht gegenwärtige Ungeduld aufs Mittagessen. "So, dann kommen wir zur Urteilsbegründung einer Verhandlung, die mir keinen großen Spaß macht", seufzt der Richter. Als er sich setzt, spürt man im Raum das "Jetzt" und "Später" endgültig auseinanderfallen. "Es ist nicht meine Aufgabe, die Arbeit der aktuellen Bundesregierung zu kommentieren", sagt er. Seine Aufgabe sei es zu prüfen, ob eine Straftat vorliegt oder nicht, weil sich Bonasera auf die Straße geklebt hat. Es ist die zweite Gerichtsverhandlung ihres Lebens. Und Bonasera weiß, dass das erst der Anfang ist. Lea Bonasera ("hinter dem Namen kann man sich nicht verstecken") wuchs in einer Kleinstadt in Nordrhein-Westfalen auf, "eher CDU-Gebiet". Ihr italienischer Opa war als junger Mann nach Deutschland gekommen. Als Kind aß sie am liebsten Pfannkuchen mit Zimt und Zucker, das schreibt sie so in ihrem Buch. Sie weiß ja, was diese süße Idylle bedeutet. Sie weiß um die bürgerliche Welt, aus der sie ausgebrochen ist, und sie weiß, dass ihr das diejenigen übel nehmen, die nie die Wahl hatten, aus so einer Welt auszubrechen. Dabei dachte sie mal, sie würde irgendwann Professorin werden, Kinder kriegen. Aber wie könnte sie das heute verantworten, sagt sie, "wenn ich weiß wie, die Welt 2100 aussieht?" Dann weint sie im Flur des Frankfurter Gerichts Sie studierte gerade im Bachelor, als sie in einer Dezembernacht 2015 mit dem Bus nach Paris fuhr zur Klimakonferenz, zu ihrer ersten Demo. Sie campte in der Halle mit Menschen, die kein Fleisch aßen und nicht flogen. An diesem Weihnachten aß sie den letzten Burger ihres Lebens. Später, während des Masters in Oxford, demonstrierte sie mit "Fridays for Future", engagierte sich bei "Extinction Rebellion". Als sie mit 23 Jahren schließlich die Doktorarbeit beginnen wollte, riet ihr die Professorin, sie solle mal ein Jahr Praxiserfahrung sammeln, ihre Ideen ausprobieren. "Und dann dachte ich, okay, cool, dann mach ich jetzt ein Jahr lang Protest und zivilen Widerstand." Von den Tränen sieht man inzwischen nichts mehr. Pause unter Sonnenschirmen eines veganen Restaurants, nicht weit vom Amtsgericht. Lea Bonasera bestellt die Nummer 50, Brownies mit Vanilleeis, und einmal die hausgemachte Limonade. Auch wenn sie weiß, wie unwahrscheinlich alles ist: Sie hat ja doch gehofft. "Wir sind in der Klimakrise und der Richter kann freisprechen". Im Gerichtssaal appellierte sie an den Richter, erwähnte Studien über das hohe gesellschaftliche Vertrauen in Gerichte, argumentierte, dass sie genau deswegen "ein kraftvolles Instrument" seien, um den "Status quo zu verändern". Als der Richter sie dann zu 50 Tagessätzen verurteilte, schaute sie ihn immer noch mit diesem ruhigen Blick an. Am Ende stand sie auf, nahm ihre Sachen, verließ den Raum, und erst im Flur des Frankfurter Gerichts weinte sie. Kritisiert man die Methoden der "Letzten Generation", reagiert Lea Bonasera nicht verärgert oder irritiert. Sie findet das "spannend". Oder "interessant". Wenn man den schwindenden Rückhalt für ihre Bewegung erwähnt und fragt, wie sie damit umgeht, sagt sie erst mal: "wichtige Frage" und zitiert dann eine aktuelle Studie ihrer Kollegen am Wissenschaftszentrum für Sozialforschung in Berlin. Der zufolge haben die Straßenblockaden keinen negativen Einfluss auf die allgemeine Meinung zum Klimaschutz. Sie versteht die Wut der Autofahrer, sagt sie. Sie versteht die FDP. Sie weiß, dass der Richter sich rechtfertigen müsste, wenn er sie freigesprochen hätte. Sie versteht, dass die Ampelkoalition jetzt schon darauf achte, wiedergewählt zu werden. "Ich beneide da überhaupt nicht die Leute, in der Regierung zu sein." Und stellt im selben Ton fest: "Die Frage ist: Wie bringt man die Regierung dazu, dass sie ihre eigenen Ziele einhält? Und da ist meine Antwort: Widerstand." Die Klimakrise ist die Katastrophe unseres Jahrhunderts. Und vielleicht ist sie einfach zu kompliziert für das menschliche Gehirn. Man kann sie keinem Bösewicht in die Schuhe schieben, die meisten haben keine Ahnung, wann und wo und wie sie gerade passiert, und wie sie weiterpassiert. Feststeht: Die Erde hat sich, egal nach welcher Messung, erwärmt, und unter der 0361-65544893 erreicht man in Erfurt inzwischen eines von deutschlandweit vielen Hitzetelefonen. Neben der Frage, was man jetzt dagegen tun kann (Bio-Joghurt reißt das Ruder nicht rum), ist die andere ja: Wie erträgt man eigentlich diesen Zustand? Klar kann der Mensch sich ändern, sie hat ihr Leben als Oxford-Doktorandin aufgegeben Genau um diesen ganz speziellen Punkt geht es Lea Bonasera. "Man erkennt die Krise, dann verdrängt man sie", sagt sie und zitiert den Klimatologen Stefan Rahmstorf: "Man überspringt einen Punkt und verfällt sofort in die Ohnmacht. Aber man muss den Menschen eine Handlungsoption geben." In Zeiten von "Klimaangst" zumindest ein wenig Inspiration, was man mit den runterhängenden Armen noch so machen kann, außer "Symptome Eco-Anxiety" zu googeln. Immerhin gaben über 67 Prozent der weltweit befragten Generation-Z-Angehörigen 2021 in einer Umfrage an, wegen des Klimawandels Angst zu fühlen, über die Hälfte fühle sich "hilflos". Jetzt kann man sagen, Widerstand, schön und gut, aber bitte nicht da, wo man das "Wider" dann tatsächlich spürt. Wobei man beim großen Missverständnis der Konstruktion ist: Ziviler Widerstand will nicht gefallen. Er will auffallen. Natürlich nervt er, immerhin fordert die "Letzte Generation" etwas, was den meisten Menschen widerstrebt: Veränderung. Die nicht schlecht wäre, will man den "Kampf unseres Lebens", wie ihn Guterres nannte, noch halbwegs würdevoll bestehen. So wie Bonasera das Lebensmodell einer ehrgeizigen Oxford-Doktorandin aufgab, hofft sie, dass die Gesellschaft umdenkt. Richter, Polizei, Kirchen, Unternehmen könnten Risiken eingehen, Unterstützung für die Bewegung zeigen, und so die Regierung unter Druck setzen. "Wir haben etwas gesucht, was nicht wegignoriert werden kann. Wir wussten, wir brauchen eine Strategie, wie wir die Gesellschaft aufrütteln", sagt Bonasera. Nur wo verläuft die Grenze zwischen Ignoranz verhindern und permanentem Pulshochpeitschen? Muss am Ende eines katastrophalen Tages echt noch irgendwer vor der Motorhaube hocken? In der Logik Lea Bonaseras: Ja, natürlich. Die Formel lässt sich etwa so verkürzen: Es muss jetzt wehtun, damit es später nicht so schlimm wird. Sie schaue, was funktioniere und was nicht, sie vergleicht ihre Methoden mit friedlichen Protestformen in der Vergangenheit, verweist auf den "Movement Action Plan" von Bill Moyer, demzufolge die Zustimmung in der Bevölkerung für Protestgruppen nur sehr langsam zunimmt. So betrachtet: Der Hass läuft nach Plan. Sie tunkt ein Stück Schokolade ins fast geschmolzene Vanilleeis und sagt: "Ich rechne stark damit, dass ich irgendwann im Gefängnis bin." Erst kürzlich wurde eine Klimaaktivistin in Berlin zu acht Monaten ohne Bewährung verurteilt. "Es kann sein, dass all das erst in ein paar Jahrzehnten, wenn ich tot bin, glorifiziert wird", sagt Lea Bonasera. Und ganz ruhig spannt sie damit den Bogen von einem warmen Sommernachmittag in Frankfurt in eine Richtung, in die man lieber nicht so lange schaut.
Lea Bonasera hat in Oxford studiert und wollte Professorin werden. Stattdessen hat sie die "Letzte Generation" mitgegründet und sitzt nun auf der Anklagebank.
Gerade sitzen. Nicht fluchen. Freundlich bleiben. Lachen Sie nicht laut. Führen Sie keine Gespräche. Ziemlich genau so stand es auf Zetteln der Bürgerrechtsbewegung gegen die Rassentrennung in den Sechzigern. So stand es in Appellen bei den Demonstrationen an der Nikolaikirche in Leipzig. Und genau so verhält sich Lea Bonasera an diesem Sommertag am Frankfurter Gericht.
Den Rücken durchgestreckt sitzt sie in einem blauen Jumpsuit neben dem jungen Verteidiger. Es ist ein heißer Julitag, draußen lähmt die Mittagssonne die Stadt. Der Verteidiger schiebt geräuschvoll seinen Stuhl zurück, steht auf und kündigt mit tiefem Zynismus in der Stimme die jüngsten "Neuigkeiten zur Klimakatastrophe" an.
Er erzählt aufgebracht von Überflutungen in Saragossa, von den weltweit heißesten je gemessenen Durchschnittstemperaturen, argumentiert mit dem "klimatischen Kollaps" gegen den Nötigungs-Paragrafen 240 StGB. Der Richter beugt sich über seine Unterlagen. Lea Bonasera hört zu, sie nickt nicht, zeigt keine Spur Selbstgerechtigkeit oder Wut. Ihr Blick folgt all dem, als sei sie neugierig, wie sich ihr Plan entwickelt. Dass sie hier sitzen würde, war ja von Anfang klar.
Seit sie vor knapp zwei Jahren zusammen mit Henning Jeschke und Melanie Guttmann die "Letzte Generation" gegründet hat. Ziemlich genau seitdem reizt sie den hochempfindlichen deutschen Kopfschüttel-Reflex. "Völlig bekloppt" (Olaf Scholz), "Klima-RAF" (Alexander Dobrindt), "Taliban" (Michael Roth), "Ihr seid die größten Hassmenschen" (Typ mit Kaffeebecher und Zigarette auf der Berliner Puschkinallee). Vor diesem Hieronymus-Bosch-haften Gemälde aus brüllenden Autofahrern, Warnwesten, Kartoffelbrei, teerverschmierten Händen (Vordergrund) und brennenden Wäldern in Lackrot (Hintergrund, Ölfarben auf Leinwand) steht also eine hochgewachsene Frau, 25 Jahre alt, mit vollen, lockigen Haaren. Die das alles präzise pinselt.
Einmal im Monat spricht sie mit Forschern über zivilen Widerstand
Man kann Lea Bonasera einiges vorwerfen. Aber zu sagen, sie hätte nicht nachgedacht, was sie da an einem Januartag lostritt, Hungerstreik, Straßenblockaden und einen daueralarmierten Alexander Dobrindt, das stimmt nicht.
Bonasera hat Internationale Beziehungen in Oxford studiert, schreibt gerade ihre Doktorarbeit über zivilen Widerstand in Demokratien und veröffentlicht in dieser Woche ein Buch mit dem überraschend zahmen Titel: "Die Zeit für Mut ist jetzt! - Wie uns ziviler Widerstand aus der Krise führt" (S. Fischer, Frankfurt am Main 2023; 224 Seiten, 18 Euro).
Sie testet die Methoden des Politikwissenschaftlers und Friedensaktivisten Gene Sharp, zitiert ihr größtes Vorbild, die Bürgerrechtlerin Diane Nash, orientiert sich an Studien der US-amerikanischen Politikwissenschaftlerin Erica Chenoweth. Einmal im Monat tauscht sie sich mit einer internationalen Forschungsgruppe über zivilen Widerstand aus.
Inmitten dieses Pendler-Albtraums, dieser "Extremisten" steht eine Wissenschaftlerin mit leiser Stimme. Deutschlands radikalste Klimabewegung hat eine rationale Radikale an der Spitze. Und die forscht gerade an einer Frage: Welches Maß an Radikalität ist angebracht in einer Zeit, die der UN-Generalsekretär António Guterres "Highway zur Klimahölle" nennt?
Es ist nicht fünf nach zwölf, sondern nach eins, als der Richter das Urteil vorliest. Der Verteidiger hat das Verfahren schon weit über die gute Laune hinweg gedehnt und zwischen Waldbränden und Apokalypse schleicht sich die recht gegenwärtige Ungeduld aufs Mittagessen. "So, dann kommen wir zur Urteilsbegründung einer Verhandlung, die mir keinen großen Spaß macht", seufzt der Richter. Als er sich setzt, spürt man im Raum das "Jetzt" und "Später" endgültig auseinanderfallen.
"Es ist nicht meine Aufgabe, die Arbeit der aktuellen Bundesregierung zu kommentieren", sagt er. Seine Aufgabe sei es zu prüfen, ob eine Straftat vorliegt oder nicht, weil sich Bonasera auf die Straße geklebt hat. Es ist die zweite Gerichtsverhandlung ihres Lebens. Und Bonasera weiß, dass das erst der Anfang ist.
Lea Bonasera ("hinter dem Namen kann man sich nicht verstecken") wuchs in einer Kleinstadt in Nordrhein-Westfalen auf, "eher CDU-Gebiet". Ihr italienischer Opa war als junger Mann nach Deutschland gekommen. Als Kind aß sie am liebsten Pfannkuchen mit Zimt und Zucker, das schreibt sie so in ihrem Buch. Sie weiß ja, was diese süße Idylle bedeutet. Sie weiß um die bürgerliche Welt, aus der sie ausgebrochen ist, und sie weiß, dass ihr das diejenigen übel nehmen, die nie die Wahl hatten, aus so einer Welt auszubrechen. Dabei dachte sie mal, sie würde irgendwann Professorin werden, Kinder kriegen. Aber wie könnte sie das heute verantworten, sagt sie, "wenn ich weiß wie, die Welt 2100 aussieht?"
Dann weint sie im Flur des Frankfurter Gerichts
Sie studierte gerade im Bachelor, als sie in einer Dezembernacht 2015 mit dem Bus nach Paris fuhr zur Klimakonferenz, zu ihrer ersten Demo. Sie campte in der Halle mit Menschen, die kein Fleisch aßen und nicht flogen. An diesem Weihnachten aß sie den letzten Burger ihres Lebens. Später, während des Masters in Oxford, demonstrierte sie mit "Fridays for Future", engagierte sich bei "Extinction Rebellion". Als sie mit 23 Jahren schließlich die Doktorarbeit beginnen wollte, riet ihr die Professorin, sie solle mal ein Jahr Praxiserfahrung sammeln, ihre Ideen ausprobieren. "Und dann dachte ich, okay, cool, dann mach ich jetzt ein Jahr lang Protest und zivilen Widerstand."
Von den Tränen sieht man inzwischen nichts mehr. Pause unter Sonnenschirmen eines veganen Restaurants, nicht weit vom Amtsgericht. Lea Bonasera bestellt die Nummer 50, Brownies mit Vanilleeis, und einmal die hausgemachte Limonade. Auch wenn sie weiß, wie unwahrscheinlich alles ist: Sie hat ja doch gehofft. "Wir sind in der Klimakrise und der Richter kann freisprechen".
Im Gerichtssaal appellierte sie an den Richter, erwähnte Studien über das hohe gesellschaftliche Vertrauen in Gerichte, argumentierte, dass sie genau deswegen "ein kraftvolles Instrument" seien, um den "Status quo zu verändern". Als der Richter sie dann zu 50 Tagessätzen verurteilte, schaute sie ihn immer noch mit diesem ruhigen Blick an. Am Ende stand sie auf, nahm ihre Sachen, verließ den Raum, und erst im Flur des Frankfurter Gerichts weinte sie.
Kritisiert man die Methoden der "Letzten Generation", reagiert Lea Bonasera nicht verärgert oder irritiert. Sie findet das "spannend". Oder "interessant". Wenn man den schwindenden Rückhalt für ihre Bewegung erwähnt und fragt, wie sie damit umgeht, sagt sie erst mal: "wichtige Frage" und zitiert dann eine aktuelle Studie ihrer Kollegen am Wissenschaftszentrum für Sozialforschung in Berlin.
Der zufolge haben die Straßenblockaden keinen negativen Einfluss auf die allgemeine Meinung zum Klimaschutz. Sie versteht die Wut der Autofahrer, sagt sie. Sie versteht die FDP. Sie weiß, dass der Richter sich rechtfertigen müsste, wenn er sie freigesprochen hätte. Sie versteht, dass die Ampelkoalition jetzt schon darauf achte, wiedergewählt zu werden. "Ich beneide da überhaupt nicht die Leute, in der Regierung zu sein." Und stellt im selben Ton fest: "Die Frage ist: Wie bringt man die Regierung dazu, dass sie ihre eigenen Ziele einhält? Und da ist meine Antwort: Widerstand."
Die Klimakrise ist die Katastrophe unseres Jahrhunderts. Und vielleicht ist sie einfach zu kompliziert für das menschliche Gehirn. Man kann sie keinem Bösewicht in die Schuhe schieben, die meisten haben keine Ahnung, wann und wo und wie sie gerade passiert, und wie sie weiterpassiert.
Feststeht: Die Erde hat sich, egal nach welcher Messung, erwärmt, und unter der 0361-65544893 erreicht man in Erfurt inzwischen eines von deutschlandweit vielen Hitzetelefonen. Neben der Frage, was man jetzt dagegen tun kann (Bio-Joghurt reißt das Ruder nicht rum), ist die andere ja: Wie erträgt man eigentlich diesen Zustand?
Klar kann der Mensch sich ändern, sie hat ihr Leben als Oxford-Doktorandin aufgegeben
Genau um diesen ganz speziellen Punkt geht es Lea Bonasera. "Man erkennt die Krise, dann verdrängt man sie", sagt sie und zitiert den Klimatologen Stefan Rahmstorf: "Man überspringt einen Punkt und verfällt sofort in die Ohnmacht. Aber man muss den Menschen eine Handlungsoption geben." In Zeiten von "Klimaangst" zumindest ein wenig Inspiration, was man mit den runterhängenden Armen noch so machen kann, außer "Symptome Eco-Anxiety" zu googeln. Immerhin gaben über 67 Prozent der weltweit befragten Generation-Z-Angehörigen 2021 in einer Umfrage an, wegen des Klimawandels Angst zu fühlen, über die Hälfte fühle sich "hilflos".
Jetzt kann man sagen, Widerstand, schön und gut, aber bitte nicht da, wo man das "Wider" dann tatsächlich spürt. Wobei man beim großen Missverständnis der Konstruktion ist: Ziviler Widerstand will nicht gefallen. Er will auffallen. Natürlich nervt er, immerhin fordert die "Letzte Generation" etwas, was den meisten Menschen widerstrebt: Veränderung.
Die nicht schlecht wäre, will man den "Kampf unseres Lebens", wie ihn Guterres nannte, noch halbwegs würdevoll bestehen. So wie Bonasera das Lebensmodell einer ehrgeizigen Oxford-Doktorandin aufgab, hofft sie, dass die Gesellschaft umdenkt. Richter, Polizei, Kirchen, Unternehmen könnten Risiken eingehen, Unterstützung für die Bewegung zeigen, und so die Regierung unter Druck setzen. "Wir haben etwas gesucht, was nicht wegignoriert werden kann. Wir wussten, wir brauchen eine Strategie, wie wir die Gesellschaft aufrütteln", sagt Bonasera.
Nur wo verläuft die Grenze zwischen Ignoranz verhindern und permanentem Pulshochpeitschen? Muss am Ende eines katastrophalen Tages echt noch irgendwer vor der Motorhaube hocken?
In der Logik Lea Bonaseras: Ja, natürlich. Die Formel lässt sich etwa so verkürzen: Es muss jetzt wehtun, damit es später nicht so schlimm wird. Sie schaue, was funktioniere und was nicht, sie vergleicht ihre Methoden mit friedlichen Protestformen in der Vergangenheit, verweist auf den "Movement Action Plan" von Bill Moyer, demzufolge die Zustimmung in der Bevölkerung für Protestgruppen nur sehr langsam zunimmt. So betrachtet: Der Hass läuft nach Plan.
Sie tunkt ein Stück Schokolade ins fast geschmolzene Vanilleeis und sagt: "Ich rechne stark damit, dass ich irgendwann im Gefängnis bin." Erst kürzlich wurde eine Klimaaktivistin in Berlin zu acht Monaten ohne Bewährung verurteilt. "Es kann sein, dass all das erst in ein paar Jahrzehnten, wenn ich tot bin, glorifiziert wird", sagt Lea Bonasera. Und ganz ruhig spannt sie damit den Bogen von einem warmen Sommernachmittag in Frankfurt in eine Richtung, in die man lieber nicht so lange schaut.
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