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Roman - Rezensiert in der SZ von Felix Stephan
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In der Fortsetzung des Romans "Harlem Shuffle" steht erneut Ray Carney im Mittelpunkt. Der Ex-Hehler und Teilzeitkriminelle will sich jetzt allerdings möglichst heraushalten aus dem Geschäft, im Harlem der Siebzigerjahre arbeitet er vor allem als Möbelverkäufer. Doch Carney lebt im turbulenten New York, geprägt von Gangsterkriegen und politischem Aufruhr, in einer Zeit, in der die Rassentrennung gerade erst aufgehoben wurde und das schwarze Bürgertum ein besseres Leben anstrebt. Der zweifache Pulitzer-Preisträger Colson Whitehead stellt in seinem Gangster-Roman "Die Regeln des Spiels" mit präzisem Stil das Milieu und die Protagonisten vor, die gegen ein von der Gesellschaft vorgezeichnetes Schicksal ankämpfen. Durch historische Bezüge und meisterhafte Erzählkunst veredelt er das Pulp-Genre und beleuchtet schwarze Biografien, Moral und die Verstrickungen der damaligen Wirtschaftswelt
Der Schriftsteller Colson Whitehead wurde mit dem Pulitzerpreis und dem National Book Award ausgezeichnet. Was soll da noch kommen? Klar: eine virtuose New Yorker Gangsterklamotte.
Wenn man sich ein Bild von den verschiedenen Tonlagen machen will, mit denen afroamerikanische Identität massenmedial auf die Bühne gebracht wird, könnte man zum Beispiel die Sprechweisen von Martin Luther King und dem aktuellen Vorsitzenden der demokratischen Partei im Repräsentantenhaus, Hakeem Jeffries, vergleichend nebeneinanderlegen. King hatte sich noch sehr um ein geschliffenes Hochenglisch bemüht, aus dem man fast die väterliche Klangfarbe des britischen Philosophen Bertrand Russell heraushören konnte. Wenn Hakeem Jeffries heute im Repräsentantenhaus seine Sätze rhythmisiert, seine Pausen setzt und tatsächlich auch in Reimen spricht, dann klingt er im Gegenteil, als hätte er bei dem Philosophen Cornel West persönlich das Rappen gelernt.
In Colson Whiteheads neuem Roman "Die Regeln des Spiels" gibt es eine Figur, die ebenfalls vor dem Problem jedes Afroamerikaners in einer Öffentlichkeit steht, in der weißes Sprechen und weißer Habitus nach wie vor als vertrauenswürdig kodiert sind: die schwarze, wunderschöne, ehrgeizige Schauspielerin Lucinda Cole. Das amerikanische Filmpublikum weiß von ihr, dass sie in Harlem in schwierigen Verhältnissen aufgewachsen ist, dass sie die Drogen, den Alkohol, die Armut halbwegs unbeschadet überstanden und sich dann von ganz unten den Weg auf die kalifornischen Billboards gebahnt hat.
Irgendwann jedoch stellt sich heraus, dass Lucinda Cole in Wahrheit Leanne Wilkes heißt und in Maplewood, New Jersey, in einer Familie mit Haus und Garten aufgewachsen ist und dass es der geschäftstüchtige New Yorker Gangsterboss Chick Montague war, der sie neu eingekleidet und mit einer ärmlichen Harlem-Biografie versehen hat, weil das für eine schwarze Schauspielerin in Amerika nun einmal die bessere Geschichte ist. Lucinda spielt die Hauptrolle in einem Film, der von Harlem handelt und von einem schwarzen Regisseur in Harlem gedreht wird, und wie Whitehead in dieser Versuchsanordnung die Bedingungen der rassifizierten amerikanischen Kulturindustrie zum Tanzen bringt - wie also schwarze Künstler geschäftstüchtig das inszenieren, was sich das weiße Publikum unter authentischer schwarzer Kultur vorzustellen gelernt hat - , das ist tatsächlich virtuos.
Der Öffentlichkeit muss er immer noch versichern, dass er weder arm noch Sozialist ist
Der Roman ist die Fortsetzung von "Harlem Shuffle", der in den USA im Jahr 2021 erschienen ist und mit demselben Personal das vorangegangene Jahrzehnt erzählt, die Sechzigerjahre. Als das Buch erschien, hatte Colson Whitehead gerade die beispiellose Serie hinter sich, für zwei Romane zweimal mit dem Pulitzerpreis und einmal mit dem National Book Award ausgezeichnet worden zu sein. Dass er trotzdem bis heute vielerorts vor allem als afroamerikanischer Schriftsteller wahrgenommen wird und nicht als der Autor einer sich in seinem Werk Stück für Stück vervollkommnenden "Great American Novel", ist auch schon Teil jenes Problemkomplexes, um den sich dieses Werk dreht. Trotz all der Preise sieht auch Whitehead sich heute immer noch mit einer Öffentlichkeit konfrontiert, der er immer wieder versichern muss, dass er zwar ein schwarzer Amerikaner, aber trotzdem keineswegs arm oder Sozialist oder auf andere Weise staatsgefährdend ist, sondern einfach Teil einer bürgerlichen Doppelverdiener- und Overachiever-Familie, die zwischen ihrem Apartment in Manhattan und ihrem Haus auf Long Island pendelt.
In seinem Roman "Die Nickel Boys", der 2019 erschienen ist, ging es um einen schwarzen Jungen, der in den Sechzigerjahren wegen eines läppischen Deliktes in einer Besserungsanstalt für Schwererziehbare landet, die der realen "Dozier School for Boys" in Florida nachempfunden ist, einem staatlich finanzierten Kerker, in dem schwarze Minderjährige gezüchtigt, gefoltert und zigfach auch ermordet wurden und der erst 2011 geschlossen wurde. In "Underground Railroad", als Amazon-Serie seifig ästhetisierend verfilmt von dem Moonlight-Regisseur Barry Jenkins, porträtierte er 2017 das reale Evakuierungsnetzwerk gleichen Namens, mit dem im 19. Jahrhundert Freiwillige Sklaven aus den Südstaaten in den Norden evakuierten.
Der New York Times sagte Whitehead, dass er nach all dem Leid auch gern einmal wieder ein leichtes Buch schreiben wolle, und dieses Buch ist jetzt "Die Regeln des Spiels". Es tritt in der Form einer Blaxploitation-Gangsterklamotte im Harlem der Siebzigerjahre auf, aber natürlich veredelt Whitehead durch seine schiere künstlerische Meisterschaft auch dieses Pulp-Genre zu einem Werk, das spielerisch mit den verschiedenen Begriffen jongliert, die es von sich selbst hat.
Jahrelang war das Niederbrennen versicherter Häuser in New York ein blühendes Geschäft
Die Hauptfigur ist wie in "Harlem Shuffle" der selbständige Möbelhändler Ray Carney, der nebenbei als Hehler für sämtliche kriminellen Vereinigungen von Harlem zur Verfügung steht, die seine Adresse kennen, sich aber trotzdem vormacht, eigentlich nicht wirklich im Geschäft zu sein. Zu Beginn des Buches drückt ihm ein korrupter Cop einen Beutel mit Diamanten in die Hand, und schon bald darauf haben sich in diesem Plot sämtliche Drücker, Türsteher, Bosse, Staatsanwälte und Bürgermeisterkandidaten eingefunden, die in Harlem jemals miteinander zu tun gehabt haben.
Neben der Kommodifizierung weißer Klischees über schwarze Lebensrealitäten gab es in Harlem einige Jahrzehnte einen zweiten bedeutenden Wirtschaftszweig, der auch in diesem Roman eine Rolle spielt. Dieser Wirtschaftszweig bestand im Niederbrennen leer stehender Wohnhäuser, die kurz vor dem Inferno großzügig versichert wurden. Von dieser Praxis profitieren sämtliche Mitglieder der Harlemer Stadtgesellschaft und ganz besonders die Mitglieder der Bezirksregierung: Wenn sie die Brandstiftung polizeilich nicht weiter verfolgen, wenn die Versicherung den Schaden reguliert, wenn die Fördergelder für sozialen Wohnungsbau aus dem Bundesbudget ausgezahlt werden, wenn die Aufträge für neue Bauprojekte vergeben werden - jedes Mal wechseln Umschläge den Besitzer, und als Ray Carney sich das Geschäftsmodell einmal vor Augen führt, kommt er zu dem Schluss: "Das ergibt eine Menge Umschläge."
Diese Wertschöpfungskette hat, wie immer bei Whitehead, einen realen Hintergrund: Schon lange vor der Romanhandlung, im Jahr 1915 veröffentlichte Joseph Johnson, der damalige Fire Commissioner der Stadt New York, in seiner Verzweiflung ein Buch über die ubiquitäre Praxis des "Incendiarism" in seiner Stadt und machte vor allem die Versicherungen verantwortlich. Erst durch deren großzügige Vergabe von Policen werde es lukrativer, ein Wohnhaus abzubrennen, als es nicht abzubrennen. 25 Prozent aller Feuer in New York gingen seiner konservativen Schätzung nach auf Brandstiftung zurück, Immobilien im Wert von vielen Millionen Dollar würden so jedes Jahr zerstört.
Der berühmteste Brandstifter in der Geschichte der Stadt New York, an den sich auch das Personal in Whiteheads Roman noch gern erinnert, hieß Isidore Steinareutzer alias Izzy Stein alias Isaac Chernik, alias "Izzy, der Maler", weil er sich immer als Anstreicher ausgab, wenn er ein leeres Gebäude betrat. Im Sommer 1912 wurde er festgenommen, verpfiff seine gesamte Gang und bekam trotzdem 24 Jahre in Sing Sing.
Die genretypisch durchlässige Grenze zwischen Legalität und Illegalität wird dabei durch den Umstand verschärft, dass die Rassentrennung in den USA zu Beginn der Handlung gerade erst seit sechs Jahren aufgehoben war. Immer wieder gibt es Anspielungen auf Hausbewohner, Passanten, Imbissverkäufer, die auf der Suche nach einem besseren Leben aus dem Süden nach New York kamen, einem Leben also, in dem sie Bürger genug sind, um sich zu einer Nebenexistenz als Verbrecher entschließen zu können. In den anderen beiden großen Romanen Colson Whiteheads - "Nickel Boys" und "Underground Railroad" - bestand das Verbrechen schon im bloßen Schwarzsein an sich.
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