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Der Briefwechsel - Rezensiert in der SZ von Helmut Böttiger
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Der dramatische Briefwechsel, vonseiten der Bachmann- wie der Frisch-Forschung kenntnisreich kommentiert, zeichnet ein neues, überraschendes Bild der Beziehung und stellt tradierte Bewertungen und Schuldzuweisungen in Frage.
Frühjahr 1958: Ingeborg Bachmann - gefeierte Lyrikerin, Preisträgerin der Gruppe 47 und 'Coverstar' des Spiegel - bringt gerade ihr Hörspiel Der gute Gott von Manhattan auf Sendung. Max Frisch - erfolgreicher Romancier und Dramatiker, der noch im selben Jahr den Büchner-Preis erhält - ist in dieser Zeit mit Inszenierungen von Biedermann und die Brandstifter beschäftigt. Er schreibt der »jungen Dichterin«, wie begeistert er von ihrem Hörspiel ist. Mit Bachmanns Antwort im Juni 1958 beginnt ein Briefwechsel, der - vom Kennenlernen bis lange nach der Trennung - in rund 300 überlieferten Schriftstücken Zeugnis ablegt vom Leben, Lieben und Leiden eines der bekanntesten Paare der deutschsprachigen Literatur. Nähe und Distanz, Bewunderung und Rivalität, Eifersucht, Fluchtimpulse und Verlustangst, aber auch die Schwierigkeiten des Arbeitens in einer gemeinsamen Wohnung und die Spannung zwischen Schriftstellerexistenz und Zweisamkeit - die Themen der autobiografischen Zeugnisse sind zeitlos. In den Büchern von Bachmann und Frisch hinterließ diese Liebe Spuren, die zum Teil erst durch die Korrespondenz erhellt werden können. Die Briefe zeigen die enge Verknüpfung von Leben und Werk, sie sind intime Mitteilungen und zugleich Weltliteratur.
Knapp fünf Jahre waren Ingeborg Bachmann und Max Frisch ein Paar. Jetzt ist der Briefwechsel erschienen - ein sensationelles Dokument.
Im Morgengrauen vom 3. auf den 4. Juli 1958, zwischen blutigen Schlachterschürzen in den alten Markthallen in Paris, begann eine Geschichte, die die Wissenschaft bis heute in Atem hält. Die ominöse Liebesbeziehung von Ingeborg Bachmann und Max Frisch war wohl das letzte große Geheimnis der jüngeren deutschsprachigen Literaturgeschichte. Der Briefwechsel zwischen den beiden ist deshalb ein Ereignis, er führt zu etlichen neuen Erkenntnissen - ein Band mit mehr als tausend Seiten, der Kommentarteil nimmt davon knapp die Hälfte ein.
Bisher existierte nicht einmal ein gemeinsames Foto von Bachmann und Frisch, obwohl sie mehr als vier Jahre lang zusammen waren. Die Herausgeber weisen jetzt stolz eins vor, aber das ist bereits sehr charakteristisch: Max Frisch ist für eine Zeitungsreportage frontal abgelichtet, und an der Seite erkennt man, mehr durch ein technisches Versehen, halb abgeschnitten den Kopf von Ingeborg Bachmann. Ob auch Max Frisch ihr Gesicht je ganz gesehen hat - das ist eine der großen Fragen, die bleiben. Schon zwei Tage nach ihrer rauschhaften ersten Nacht, noch in Paris, schreibt er an sie: "Was ist los? Ich warte und bange. Kein Zeichen. Du willst, dass wir verschwunden sind für einander."
Im Grunde sind damit schon die Zeichen gesetzt, denn so geht es immer weiter, knapp fünf Jahre lang. Regelmäßig ist von Trennung die Rede, sie steht schon nach der ersten Wiederbegegnung im Raum. Als sie beschließen zusammenzuleben, schwingt immer der Grundton mit, den Frisch gleich zu Beginn anschlägt: "Wir wären ein Unheil für einander. Aber auch so ist kein Heil..."
Es geht Schlag auf Schlag. Von März 1959 an wohnt Bachmann mit Frisch in einem Haus mit Seeblick bei Zürich. Ende April fährt sie schon ein paar Tage an den Comer See, weil sie glaubt, dort besser arbeiten zu können als unter dem gemeinsamen Dach mit Frisch. Im Mai wird bei ihm eine schwere Hepatitis diagnostiziert, und sie einigen sich darauf, dass Bachmann nicht dableibt, sondern nach Rom reist. Sie tut das dann allerdings in Begleitung von Hans Magnus Enzensberger, mit dem sie bald eine Affäre hat. Wie gravierend diese war, erfährt man erst jetzt. In der 2018 erschienenen Korrespondenz Bachmanns mit Enzensberger fehlen einige Briefe, die dieser auf Wunsch Bachmanns vernichtete. Im Krankenhaustagebuch von Max Frisch jedoch, das Bachmann im Frühjahr 1963 nach der Trennung von Frisch entsetzt fand und verbrannte, spielte die Beziehung Bachmanns zu Enzensberger offenkundig eine große Rolle.
Auch nach dem ausschweifenden Briefwechsel mit Frisch ist ihr Profil schwer zu erfassen, ihr Spiel mit Widersprüchlichem, ihr Sich-Entziehen. Um dem näherzukommen, sollte man sich den zeitgeschichtlichen Hintergrund vergegenwärtigen: Sie versuchte, ein Leben zu führen, das in diesen Jahren für eine Frau nicht vorgesehen war und für das es noch kaum Worte gab.
Frisch ist nicht nur als Mann auf Bachmann eifersüchtig, sondern auch als Schriftsteller
Im Juli 1959 schreibt sie an Frisch: "Max, es ist so schwer zu erklären, aber ich habe nur ganz selten das Gefühl der Gleichberechtigung zwischen uns. Ich stehe von Anfang an etwas unter Dir oder hinter Dir, Du hast es bestimmt nicht gewollt, aber es bringt Dich dazu, mit mir zu reden manchmal wie zu einer Schülerin, bald liebevoll, bald tadelnd. Ich bin aber, wenn ich nicht bei Dir bin, auch erwachsen, einem Mann gewachsen und lasse mir, wie die Brechtmädchen sagen würden, 'nichts gefallen'."
Frisch ist nicht nur als Mann auf Bachmann eifersüchtig, sondern auch als Schriftsteller. Das macht dieser Briefwechsel auf verblüffende Weise deutlich. Frisch empfindet sich im Vergleich zu Bachmann und Celan als "durchschnittlich", die beiden Lyriker hingegen seien "Auserlesene". Er benennt seine Angst, bloße "Unterhaltungsliteratur" zu schreiben, "privat-engagierte, visionslose, in den Mitteln redliche und in letzter Zeit sogar meisterliche", und er gesteht ohne Koketterie, dass ihm Bachmann "intellektuell überlegen" sei.
Die Unterschiede sind tatsächlich nicht zu verkennen: hier der glänzende Romankonstrukteur Frisch, der mit seinem enorm wirkungsvollen "Homo faber" soeben auch eine ideale Vorlage für Literaturdidaktiker geliefert hat, und da die lyrische Diva, die den hymnischen wie den elegischen hohen Ton Hölderlins gegen ihre unmittelbare Gegenwart richtet. Die Korrespondenz der beiden lässt erkennen, welche Schwierigkeiten das auch im Alltagsleben mit sich brachte. Bachmanns Schillern zwischen Literatur und Leben war für Frisch eine nicht zu bewältigende Herausforderung. Einmal imaginiert er sich in einem Brief Bachmann in der dritten Person: "Sie liebt nicht mich, sowenig wie einen andern, sondern sie liebt die Liebe und sich selbst als Liebende."
Bachmann nahm das Beruhigungsmittel "Perequil", das leicht süchtig machte
Im März 1962 wiederholt sich eine Konstellation, die für Bachmann typisch ist, die man aber nicht pathologisieren sollte. Bachmann verliebt sich wieder in einen anderen, in den Germanisten Paolo Chiarini, und will sich von Frisch trennen. Das scheitert daran, dass Chiarini letztlich doch bei seiner Ehefrau bleiben will. Im Anschluss überstürzen sich die Ereignisse. Im Sommer 1962 wird Bachmann eröffnet, sie müsse sich ihre Gebärmutter entfernen lassen - eine Operation, deren physische und psychische Folgen sie lange unterschätzt. Gleichzeitig ist ihre Tablettenabhängigkeit nicht mehr zu leugnen, sie lässt sich deshalb im Krankenhaus behandeln.
Die Herausgeber des Briefwechsels weisen auf das damals meistverschriebene Beruhigungsmittel Perequil hin. Es ist längst nicht mehr auf dem Markt, und Bachmann begann früh, es ganz selbstverständlich zu nehmen: Es hatte ein hohes Suchtpotenzial und führte zu psychischen Veränderungen. Anfang Oktober erfährt Bachmann zudem von der Affäre, die Frisch mit der um 28 Jahre jüngeren Marianne Oellers begonnen hat, aber sie nimmt das nicht sonderlich ernst.
Die Krankenhausaufenthalte Bachmanns zwischen Dezember 1962 und Februar 1963 bilden das Zentrum späterer Bachmann-Mythen. Zugrunde liegt, das lässt sich durch diesen Briefwechsel erschließen, weder ein Suizidversuch Bachmanns noch eine Abtreibung; dies waren nachträgliche literarische Imaginationen von ihr. Bachmann hat sich seit Langem als unbedingt unabhängige Schriftstellerin durchgeschlagen, und die Krise, die jetzt bei ihr ausbricht, im Alter von Mitte dreißig, verweist auf etwas Existenzielles und geht über die gescheiterte Beziehung zu Max Frisch hinaus. Immerhin aber hatte Frisch zunächst einen festeren Halt als ihre vorangegangenen Liebesversuche versprochen, die eher im Reich der Utopie angelegt waren - mit Paul Celan vor allem, dem sie literarisch am meisten verbunden war, aber auch mit dem homosexuellen Hans Werner Henze.
Frisch wurde zu einer Vater-Imago, einer Horrorvision männlicher Macht
Elfriede Jelinek charakterisierte Max Frisch einmal als "unheilbar gesund". Und genau darin liegt das Problem. Frischs konkrete Person war vermutlich gar nicht so entscheidend für das Trauma, das die Trennung bei Bachmann auslöste. In erster Linie wurde sie sich ihrer grundlegenden Aporien bewusst. Es ist in den Zeugnissen dieses Briefbandes erschreckend zu verfolgen, wie sich Bachmanns psychischer Zusammenbruch des Jahres 1963 im Einzelnen zeigte. Max Frischs Roman "Mein Name sei Gantenbein", in dessen Figur "Lila" viel von Bachmann zu erkennen ist, hatte sie selbst noch lektoriert und gutgeheißen. Aber kurz darauf schrieb sie schon, von Frisch in seinem Roman missbraucht worden zu sein. Eine gewisse Rolle bei Bachmanns Dämonisierung des Geliebten Max Frisch spielte auch ein fragwürdiger Psychotherapeut.
Im Lauf der nächsten Jahre entwickelte sich in ihrer Prosa jedoch etwas Allgemeineres. Frisch wurde zum Ausgangspunkt einer oft missgedeuteten Vater-Imago, einer Horrorvision männlicher Macht, und löste sich langsam in einem beeindruckenden ästhetischen Kosmos auf. Frisch war beileibe nicht der Popanz, zu dem ihn ein Teil der Bachmann-Forschung gemacht hat.
Aber er wurde von ihrer sphinxhaften Erscheinung überfordert: "Du trittst in mein Leben, Ingeborg, wie ein langgefürchteter Engel, der da fragt Ja oder Nein." Und Bachmann selbst? Bei ihr bleibt immer noch ein erratischer Rest. Dieser Briefwechsel geht einem durchaus nah. Da wuchs auf verquere Weise etwas zusammen, was nicht zusammengehörte.
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