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Luxus und Stille im Kapitalozän - Rezensiert in der SZ von Jan Füchtjohann
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Abramowitsch hat eine, der Emir von Abu Dhabi auch, Jeff Bezos sowieso: Superyachten sind Ausweis der Zugehörigkeit zum Club der lucky few. Sie ermöglichen grenzenlose Mobilität und exklusiven Geltungskonsum. Zugleich sind sie schwimmende Umweltsünden. Sie verbrennen Unmengen Treibstoff, ihre Anker zerstören kostbare Flora. Und sie sind Spielfelder obszöner Ungleichheit: Während ihre Besitzer zu den einflussreichsten Menschen der Welt gehören, ist das Bordpersonal oft Willkür und Rechtlosigkeit ausgeliefert.
Grégory Salle sieht in den riesigen Luxusschiffen den Schlüssel zum Verständnis des gegenwärtigen Kapitalismus. In seinem fulminanten Essay zeigt er, dass Superyachten nicht einfach Symbole des Exzesses sind. Vielmehr sind sie Symbole dafür, dass der Exzess zum Kennzeichen unseres Zeitalters geworden ist.
"Eine Handvoll Superreicher amüsiert sich auf dem Meer - na und?", fragt Grégory Salle in seinem neuen Buch - und beantwortet die Frage gleich selbst: "Na und: alles." Für den französischen Soziologen zeigen sich an Yachten gleich mehrere charakteristische Merkmale dieser Epoche. Da wäre die wirtschaftliche Ungleichheit, die sich in unglaublichen Summen zeigt - eine Yacht über Wasser zu halten, kostet die Eigner etwa 10 Prozent der Herstellungskosten pro Jahr. Die juristische Ungerechtigkeit, die bei den rechtlosen Crewmitgliedern sichtbar wird. Da wäre die Klimakrise - Salle zeigt, warum es sich auch bei den prächtigsten Yachten im Kern um ein ständig vergammelndes, rostendes, schwindendes Nichts handelt. Die gute Nachricht: Wer über Megareiche und ihre schwimmenden Investitionen schimpft, ist nicht lediglich kleinlich oder neidisch, sondern empört sich völlig zu Recht.
Ist es ein Zeichen kleinlichen Neids, über Megareiche und ihren Besitz zu schimpfen? Der Soziologe Grégory Salle nennt Gründe, warum man sich über ihre überdimensionalen Spielzeuge zu Recht aufregen kann.
Sind Sie zornig? Politisch radikal? Nein? Das waren andere vorher auch nicht. Es genügt jedoch ein Zauberwort, und Sie können es ganz schnell werden: Superyacht.
Vergangene Woche machte die Nachricht die Runde, Freizeitboote seien trotz ihrer katastrophalen CO₂-Bilanz noch immer nicht Teil des erweiterten EU-Emissionshandels - was sogar die "Tagesschau" meldete mit dem Satz "Superjachten bleiben abgabenfrei". Weniger seriöse Seiten spitzten zu: "Spielzeuge der Superreichen von geplanten Klima-Steuern ausgenommen".
Da hört der Spaß auf. "Eine Handvoll Superreicher amüsiert sich auf dem Meer - na und?", fragt Grégory Salle in seinem neuen Buch über "Superyachten" - und beantwortet die Frage auch gleich selbst: "Na und: alles." Für den französischen Soziologen kondensieren sich in Yachten "alle wesentlichen Merkmale dessen, was unsere Epoche ausmacht: die rasante Zunahme wirtschaftlicher Ungleichheit, die Beschleunigung der ökologischen Katastrophe, der Fortbestand juristischer Ungerechtigkeit".
Die Ungleichheit ist "eine Sturzflut, die alles zu den Reichsten trägt"
Tatsächlichen erleben wir gerade "den größten Boom, den die Yacht-Industrie je gesehen hat", stellte neulich auch das Magazin New Yorker fest. 2021 habe die Branche 887 Superyachten verkauft, fast doppelt so viele wie im Jahr zuvor. Inzwischen seien die Werften dermaßen heillos überbucht, dass ihre vermögende Kundschaft sich plötzlich an einem für sie ungewohnten Ort wiederfindet: auf der Warteliste.
Der Boom entspricht der weltweit wachsenden Vermögenskonzentration - dem "schwindelerregenden Ausmaß", so Salle, "in dem eine sehr kleine Anzahl von Menschen Reichtümer an sich reißt." Diese Ungleichheit, so die passende Meeresmetapher, sei "nicht bloß ein Rinnsal", sondern "eine Sturzflut, die alles zu den Reichsten trägt". Wir hören davon aber meist nur ein sanftes Plätschern. Die Ungleichheit wird auf Offshore-Konten und hinter den hohen Mauern diskreter Stiftungen versteckt. Wohlerzogene Anwälte und Berater schützen und mehren sie, bis ihre Spur sich in zunehmend komplex verwobenen Finanzströmen verliert.
Es sei denn, man kauft sich eine Yacht. Zwar sind auch die wie dafür geschaffen, sich dünnezumachen: Sie haben starke Motoren und oft Hubschrauber und kleine U-Boote an Bord; sie bewegen sich fernab vom Zugriff der Polizei in internationalen Gewässern; sie werden in Steuerparadiesen auf die Namen verschachtelter Firmenkonstruktionen registriert; und ihre Crews werden durch maltesische Arbeitsverträge und wasserdichte Stillhalteabkommen weitgehend rechtlos gemacht. Es gibt sogar Yachten, die mithilfe von Spiegeln auf dem Meer beinahe unsichtbar werden - und russische Oligarchen, deren Schiffe nach dem Überfall auf die Ukraine einfach vom Radar verschwanden.
Trotzdem sind Super- (über 30 Meter Länge), Mega- (über 50 Meter) und vor allem Gigayachten (über 80 Meter) natürlich nicht wirklich unauffällig. Immerhin sind sie, wie der New Yorker schreibt, momentan "die teuersten Gegenstände, die unsere Gattung zu besitzen versteht". Lang wie ein Fußballfeld, einmal Volltanken für 1,5 Millionen Dollar, so viel CO₂-Ausstoß wie 1400 "Durchschnittsmenschen" - auch wer mit so einem Fußabdruck vorsichtig auftritt, macht ziemlich große Wellen.
Amazon-Gründer Jeff Bezos zum Beispiel: Als für die Jungfernfahrt seiner gewaltigen neuen Segelyacht eine Rotterdamer Brücke demontiert werden sollte, die sogar die deutschen Bombenangriffe überlebt hatte, organisierten sich auf Facebook 13 000 Menschen, um das Schiff mit vergammelten Eiern zu bewerfen. Die Brücke blieb, die Yacht verschwand mit eingezogenen Masten in Nacht und Nebel.
Salle spricht in diesem Zusammenhang von einem Oxymoron der "demonstrativen Abgeschiedenheit" - von "Formen des Rückzugs (...), die paradoxerweise erfolgen, um bemerkt zu werden". Die Wut der Volksseele will man lieber nicht auf sich ziehen - die Bewunderung der Top 0,1 Prozent aber durchaus. Daher der nie enden wollende pubertäre Längenvergleich, das Ringen um die prominentesten Liegeplätze und der Überbietungswettbewerb der besten Anekdoten: von Duschen, aus denen nur Champagner fließt, von Helis voller Hostessen, und Eigner-Kindern, die den 110 Millionen Dollar teuren Bord-Basquiat mit ihren Cornflakes-Schalen bewerfen. Wer schließlich bei erfahrenen Superyachtkapitänen nachliest, wie ein schwerreicher Besitzer seine ebenfalls schwerreichen Bordgäste mit Genuss dazu brachte, sich jeden Morgen um drei Tageszeitungen zu balgen, merkt: auch die Statusängste liegen in diesen Höhen in den Top 0,1 Prozent.
Andererseits wirkt das ja vor allem beruhigend. Auch Superreichenserien wie "Succession" und Königshausdramen wie "The Crown" führen uns genussvoll vor Augen, dass menschliche Abgründe auf Teak-Decks erst so richtig zur Geltung kommen. Viel schwerer zu ertragen wäre es für uns übrige 99,9 Prozent, wenn die Yoga-Milliardäre recht haben, die ihre Schiffe "Namasté", "Tranquility" oder "Bliss" nennen.
Damit sind wir bei einem zentralen erkenntnistheoretischen Problem: Wer über Superyachten schreibt, hat meistens keine. Überhaupt scheint es nur eine einzige Schriftstellerin zur Superyacht gebracht zu haben - die Harry-Potter-Erfinderin J. K. Rowling. Allen anderen bleiben damit bloß zwei Tonlagen übrig: unterwürfige Bewunderung - oder Schreiben mit geballter Faust.
Ein wichtigeres Problem als der Neid ist die Ungerechtigkeit. Schließlich hat auch frisch gewaschenes Geld einen realen Ursprung. Und während Reiche befreit in See stechen, bleiben andere meist deutlich weniger reich und frei zurück - und das nicht nur in Petro-Diktaturen. "Yachten stehen", so die ehemalige CIA-Offizierin Alex Finley, die unter dem Hashtag "YachtWatch" twittert, im New Yorker, "für einen Faustischen Kapitalismus - für unsere Bereitschaft, die Demokratie für kurzfristigen Profit zu verkaufen. Sie sind offshore registriert. Sie nutzen sämtliche Steuerparadiese und Schwarzgeldschlupflöcher. So spielen sie eine Rolle im Titanenkampf zwischen Autokratie und Demokratie".
"Sollte der Rest der Welt erfahren, wie es ist, auf einer Yacht zu leben, wird man die Guillotine wieder rausholen."
Letztlich wird die verschleierte Ungleichheit erst an Bord in vollem Ausmaß konsumier- und genießbar. Viele, fast rechtlose Crewmitglieder erfüllen wenigen, fast alles besitzenden Passagieren jeden noch so unerhörten Wunsch. "Sollte der Rest der Welt erfahren, wie es ist, auf einer Yacht zu leben", verplapperte sich der wegen Betrugs verurteilte Wirtschaftsanwalt Bill Duker einmal, "wird man die Guillotine wieder rausholen."
Marie Antoinette vor karibischer Kulisse - ist das alles? Nein: Außer Neid und Ungerechtigkeit gibt es noch einen dritten und wichtigsten Grund, sich zu empören: Rost. Es reicht nicht, dass das Glück an Bord für die meisten von uns unerreichbar ist, und auch nicht, dass es meist mit dem Pech vieler anderer bezahlt wird. Noch schlimmer ist die eigentliche Enthüllung über Yachten: Sie sind im Kern ein ständig vergammelndes, rostendes, schwindendes Nichts. Feuchte Meeresluft von oben, Salzwasser, Algen und Schimmel von unten - "Superyachten", schrieb die Financial Times einmal, "sind eine schreckliche Geldanlage" - "so als würdest du dir, während du durchs Wasser watest, 10 übereinander gestapelte Van Goghs über den Kopf halten, damit sie trocken bleiben".
Das ist buchstäblich gemeint. In großen Yachten gehört es inzwischen zum guten Ton, die Stockwerke anhand ihrer Kunstschätze zu unterscheiden - und auch die sind durch das Klima natürlich besonders gefährdet. Eine Yacht über Wasser zu halten, kostet die Eigner etwa 10 Prozent der Herstellungskosten pro Jahr - die kumulierten jährlichen Ausgaben für die ungefähr 6000 in Betrieb befindlichen Superyachten, so rechnete ein Journalist 2018 aus, könnten die Schulden sämtlicher Entwicklungsländer tilgen.
Das ist also der wahre Schocker: Für die "Sturzflut, die alles zu den Reichsten trägt", sind Yachten der Abfluss. Sie repräsentieren keine Wette auf eine bessere Zukunft, keine Investition in Bildung, Gesundheit, oder bleibende Schönheit - eher eine aus alten Meistern gerollte, an einer explodierenden Ölquelle entzündete Zigarre. Der "Wille zur Yacht" (Wolfgang Kemp) ist einer zur ostentativen Verschwendung und Vernichtung - in dieser Hinsicht sind die röhrenden Dieselmotoren und die von Yachten verwüsteten Atolle, Korallenriffe und Seegrasbänke auch keine bedauerlichen Zufälle, sondern das eigentliche Ziel der Übung. Wer sich mit harten Bandagen den Weg nach ganz oben erkämpft hat, respektiert letztlich nur noch sich selbst - der Rest der Welt soll brennen.
Es komme in der Geschichte nicht auf die Größe eines Gegenstandes an, schrieb der Schweizer Historiker Sigfried Giedion einmal, auch in äußerlich bescheidenen Dingen wie zum Beispiel "einem Kaffeelöffel spiegelt sich die Sonne". Man muss den Mann korrigieren: Was sich in den unverschämt großen Rümpfen der Gigayachten spiegelt, ist das Zerrbild einer Gesellschaft, deren Eliten zu nah an der Sonne fliegen.