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Rezensiert in der SZ von Karin Janker
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Die Prosa der verlorenen Generation: In Spanien schreiben jetzt die Kinder der Finanzkrise, groß geworden im Bewusstsein, dass niemand auf sie gewartet hat.
Gibt es Literarischeres als Kontobewegungen? Das Gehalt, das erst regelmäßig kommt, dann ausbleibt und schließlich von Arbeitslosengeld ersetzt wird. Die Abbuchungen von Supermarkt und Restaurants, deren Beträge allmählich zu schrumpfen beginnen. Die größeren Posten, Flug- und Hotelbuchungen, die irgendwann ganz ausbleiben. Dann eine Zahlung im Gegenwert mehrerer Flugreisen an eine Anwaltskanzlei und schließlich neue monatliche Überweisungen, Betreff: Unterhalt. Kontoauszüge können ein ganzes Leben erzählen, und haben dabei ihre ganz eigene Melancholie.
Der spanische Autor Isaac Rosa erzählt in seinem gerade auf Deutsch erschienenen Roman "Im dunklen Zimmer" mit der atemlosen Nüchternheit eines Buchhalters nicht nur, aber auch von Kontobewegungen. Er beleuchtet das Leben einer Gruppe von Freunden, die vor allem zwei Dinge miteinander teilen: das Geheimnis um ein dunkles Zimmer, in dem sie sich in ihrer Jugend regelmäßig getroffen haben, um gegenseitig ihre Körper zu erkunden und zu liebkosen, ohne einander dabei in die Augen blicken zu müssen. Und die Erfahrung, gemeinsam durch eine Wirtschaftskrise gegangen zu sein, die nicht nur die Zählerstände ihrer Konten abrutschen ließ, sondern auch ihr Leben.
Die Weltfinanzkrise von 2008 führt in Spanien noch immer zu spürbaren Verheerungen und prägt das politische Panorama, aber auch das Selbst- und Weltverständnis vieler Spanier bis heute. Viele von denen, die heute in Spanien schreiben, haben sich damals politisiert. Es gibt daher auf der Frankfurter Buchmesse, wo Spanien in diesem Jahr seinen Gastlandauftritt feiert, eine politische Belletristik zu entdecken, deren Class-Writing-Ansätze deutschen Lesern zunächst befremdlich erscheinen mögen.
Schließlich stand Deutschland damals auf der anderen Seite, bei denen, die "die Südländer" kritisch beäugten. Lange glaubte man sich in Deutschland erhaben über derart romantisches Klassenbewusstsein, wie es in Spanien damals wiederauferstanden ist. Und jetzt? Jetzt steht gerade ganz Europa am Beginn einer Krise, und es ist die spanische Literatur, die Perspektiven liefert, die anderswo fehlen.
Spanien hat Deutschland die Erfahrung voraus, krisenerprobt zu sein. Spanische Schriftstellerinnen und Schriftsteller schreiben über die Lebensbedingungen und (Erwerbs-)Biografien der verlorenen Generation nicht selten aus unmittelbarer eigener Betroffenheit heraus. Das hat allerdings nicht zur Folge, dass massenweise Memoirs geschrieben würden, in denen im Stile von Annie Ernaux oder Édouard Louis das eigene Leben seziert wird. Stattdessen sind hier Romane entstanden, in denen Klassenbewusstsein und soziale Herkunft auf ganz eigene Weise literarisch erforscht und verarbeitet werden. Einige davon sind nun, der Buchmesse sei Dank, auch auf Deutsch zu erleben.
Die Liebe verläuft in Hochs und Tiefs, immer parallel zum Kontostand
Isaac Rosa etwa, geboren 1974 in Sevilla, zeichnete in seinem Roman "Glückliches Ende" zuletzt akribisch und voller Melancholie die Geschichte eines Paares nach, im Rückwärtslauf, von der Trennung zu den Momenten glücklicher Verliebtheit ganz am Anfang. Das Paar gehört der unteren Mittelschicht an, es ist einerseits bedroht vom Abrutschen ins Prekariat, hat die Hoffnung auf den sozialen Aufstieg andererseits aber noch nicht verloren. Die Liebe selbst verläuft in Hochs und Tiefs, immer parallel zum Kontostand.
Jetzt ist Rosas Roman "Im dunklen Zimmer" auf Deutsch erschienen, ebenfalls das Porträt einer prekären Generation, die man in Deutschland so nicht kennt. Es ist jene, die man in Spanien "die verlorene" nennt. Diejenigen, die sich einst zur Mitte zählten, sich in ihrer Jugend "unsterblich" fühlten, wie Isaac Rosa schreibt, und, so gut es ging, an den Glücksversprechen der Konsumgesellschaft teilzunehmen versuchten: "der Wein aus dem Sonderangebot", "die Kleidung aus Outlet-Läden", die Ferien per Wohnungstausch in anderen Städten, Hauptsache, man bleibt Teil des Mahlstroms. "Diese blitzartigen Glücksmomente trieben uns ebenfalls an, weiterzurennen, und überzeugten uns davon, dass letztlich alles werden würde wie früher."